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Porträt Nabil Shehata

Ganz oder gar nicht

Bremen, Würzburg, Berlin, München und das Siegerland: Kontrabassist und Dirigent Nabil Shehata hatte im Laufe seiner Karriere schon viele Heimaten.

vonEcki Ramón Weber,

Da erreicht einer mit Mitte zwanzig den Traumjob im Spitzenorchester: Erster Solo-Kontrabassist auf Lebenszeit bei den Berliner Philharmonikern. Und was tut er? Kündigt 2008 und sattelt um. Aber der Reihe nach. Geboren und aufgewachsen in einem Dorf bei Verden an der Aller bei Bremen, entscheidet sich Nabil Shehata mit neun Jahren für den Kontrabass, der tiefe Klang hat es ihm angetan. Klavier ist im Haushalt das Grund-, der Kontrabass das Wunschinstrument. Nach dem Abitur folgt das Studium in Würzburg bei Michinori Bunya und an der Hochschule für ­Musik Hanns Eisler in Berlin bei Esko Laine von den Berliner Philharmonikern.

Gegen Ende des Studiums ergibt sich für die Saison 2003/04 eine Jahres-Vertretung bei der Staatskapelle Berlin, dem Orchester der Staatsoper Unter den Linden. Damit nimmt Nabil Shehatas Karriere Fahrt auf: Er wird angefragt, bereits als Aushilfe beim Spaniengastspiel mitzuwirken. Außerdem möchte ihn Daniel Barenboim, der Chefdirigent, kennenlernen und lädt Shehata, dessen Mutter Deutsche und dessen Vater Ägypter ist, zu seinem Herzens­projekt ein: Er bietet ihm an, im West-Eastern Divan Orchestra zu spielen und gleich mit auf Tournee zu gehen.

Das einst von Barenboim und dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said gegründete Orchester bringt junge Musiker vor allem aus dem Nahen Osten zusammen, unabhängig von Religionszugehörigkeit und Nationalität. Statt sich, wie geplant, in Ruhe zu Hause auf den Internationalen Musikwettbewerb der ARD vorzubereiten, geht Shehata somit ins Probenquartier des Divan nach Sevilla und anschließend auf Tournee. Im September 2003 gewinnt er den Wettbewerb und beginnt bei der Staatskapelle Berlin. 2004 überzeugt er beim Vorspiel bei den Berliner Philharmonikern. Nach zwei Jahren Probezeit ist er dort fest im Sattel. Und dann, in der Sicherheit der Position, bricht Nabil Shehatas Kindheitstraum wieder durch: der Wunsch zu dirigieren, was er sich als schüchterner Jugendlicher nicht getraut hat, was aber schon immer seine Sehnsucht war.

Nabil Shehata
Nabil Shehata

2006 nimmt er in Cottbus an einem Meisterkurs beim legendären Dirigenten Rolf Reuter teil, der einst prägender GMD an der Komischen Oper Berlin war. Shehata, zum ersten Mal am Pult vor einem Orchester, dirigiert Tschaikowskys Fünfte. Nachher bescheinigt ihm Reuter: „Sie sind ein Dirigent! Ihre Musik überträgt sich aufs Orchester. Sie benötigen jetzt Praxis.“ Die Musiker sind ebenfalls von ihm angetan und laden ihn zum Gastdirigat ein. Shehatas Debüt 2007 in Cottbus wird ein voller Erfolg „alles aus einem Guss“ jubelt die Kritik. In der Folge nimmt er Unterricht bei Größen wie Lawrence Foster, Daniel Barenboim und Christian Thielemann und holt sich Rat ein. Thielemann warnt ihn: Der Weg zum Dirigenten sei sehr hart.

Für 2008 kündigt Shehata bei den Berliner Philharmonikern. „Ich war der Meinung, wenn ich das machen will, dann ganz oder gar nicht. Dann muss ich alles auf eine Karte setzen“, erzählt er, „ich kann dann nicht nur auf Sicherheit spielen, aber erwarten, dass ich das bestmögliche Resultat bekomme.“ Mit 28 Jahren, so seine Überlegung, sei genau der richtige Zeitpunkt: Sollte er nach fünf Jahren noch immer nicht Fuß als Dirigent gefasst haben, könnte er mit Mitte dreißig zumindest wieder zu einem Orchester gehen. Später wäre ein Vorspiel schwierig.

Dirigate von Japan bis Washington

Nabil Shehata
Nabil Shehata

Gastspiele, etwa beim Simón Bolívar Jugendorchester in ­Venezuela, folgen, doch zunächst sind die Engagements spärlich. So bewirbt er sich 2009 erfolgreich auf eine Kontra­bass-Professur an der Musikhochschule München. Zwei Jahre später kommt die Kammeroper München auf ihn zu und engagiert ihn als Chefdirigenten. Fortan sammelt er die nötige Routine. Zudem kommen Gastdirigate von Japan bis Washington. 2019 übernimmt Shehata seine jetzige Position als Chefdirigent bei der Philharmonie Südwestfalen im Siegerland. Für ihn eine spannende Perspektive: Das Orchester vollzieht gerade einen Generationenwechsel, viele junge Kräfte sind dabei, die neugierig und offen sind. „Ich kann hier wirklich etwas aufbauen und habe das Gefühl, das Orchester geht mit. Wir können viel ausprobieren“, schwärmt der Dirigent.

Bei den Einstudierungen herrscht Experimentierfreude, es wird intensiv an den Klangfarben und Artikulationen gefeilt. Dabei kommen ihm seine Erfahrungen als Operndirigent zugute: „Ein Opernorchester muss sehr flexibel sein, weil jeder Abend auf der Bühne anders ist, unterschiedliche Gastsänger etwa verschiedene Tempi haben. Diese Flexibilität versuche ich auch beim Sinfonieorchester zu erreichen“, erklärt Shehata. „Auch wenn etwas festgelegt wird bei den Proben, muss es doch immer noch Spielraum in der Gestaltung geben.“ Dies und die spezielle Perspektive des Kontrabassisten, die beim Gesamtklang auch das strukturell wichtige Fundament nicht außer Acht lässt, prägen seine Interpretationen.

Dem Kontrabass ist er erhalten geblieben: Zwar unterrichtet er nicht mehr in München, dafür ist er seit 2019 Professor an der Barenboim-Said Akademie in Berlin. Zuweilen tritt er in Kammerformationen auf. Zudem hat er 2016 das kleine, feine Kammermusikfestival „Maiklänge“ gegründet, das in der historischen Aula seiner ehemaligen Schule, dem altehrwürdigen Domgymnasium in Verden stattfindet, ein Publikumsmagnet. Der Quereinstieg hat sich gelohnt.

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