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Porträt Nikolaus Habjan

Maul aufreißen erlaubt

Puppenspieler Nikolaus Habjan will keine Illusion erzeugen, sondern Wahrhaftigkeit. Die findet er auch in der Musik.

vonSören Ingwersen,

Gibt es ein Leben nach dem Tod? Selbst eingefleischte Atheisten dürften ins Grübeln kommen nach dem Besuch einer Vorstellung von „F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig“. Friedrich Zawrel, ein österreichischer Überlebender des Kinder-Euthanasie-Programms während der NS-Zeit, starb im Jahr 2015 – doch noch heute erzählt er auf der Bühne von seinen unvorstellbar grausamen Erlebnissen. Eine Theatererfahrung, der etwas Magisches anhaftet – ermöglicht von Nikolaus Habjan, seines Zeichens Opern- und Theaterregisseur, Kunstpfeifer und vor allem: Puppenspieler.

Wer jetzt an Kasperletheater für die Kleinsten denkt, liegt völlig falsch. „Ich habe immer nur Theater für Erwachsene gemacht. Mein erstes Stück hieß ,Schlag sie tot‘, eine bitterböse Puppentheater-Revue mit Liedern von Georg Kreisler“, erzählt der 31-jährige Grazer. „Wir haben extra diesen Titel gewählt und trotzdem haben dann auch Fünfjährige im Publikum gesessen.“ Das war vor zehn Jahren. Heute passiert so etwas nicht mehr, denn in Österreich ist Habjan längst kein Unbekannter mehr.

Nikolaus Habjan: „Das war für mich ein riesen Aha-Erlebnis!“

Während der studierte Musiktheaterregisseur eigene Inszenierungen am Schubert Theater und am Volkstheater in Wien, an der Bayerischen Staatsoper München und am Schauspielhaus Zürich zur Aufführung bringt, geht er mit seinen Puppen regelmäßig auf Tour, schreckt aber auch nicht davor zurück, in der eigenen Heimatstadt am Sockel eines Säulenheiligen zu kratzen. „Ich hatte Karl Böhm schon lange auf meiner Liste. Er ist der große Sohn der Stadt Graz, aber wenn man im Internet auf das Stadtportal geht, findet man nichts über seine opportunistische Haltung gegenüber dem NS-Regime.“ So modelliert Habjan auch den großen Dirigenten zum Charakterkopf, lässt ihn als Klappmaulpuppe wieder auferstehen und stellt ihm posthum unbequeme Fragen. Fünfzehn Figuren hat Habjan für das Stück aus der Feder von Paulus Hochgatterer gebaut, er spielt sie alle selbst. Aber wie wird man eigentlich Puppenspieler?

Nikolaus Habjan
Nikolaus Habjan © Marija Kanizaj

Mit vier Jahren besucht Habjan mit seinen Eltern das Salzburger Marionettentheater: „Das war für mich ein riesiges Aha-Erlebnis!“ Genau wie der Besuch einer Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“ im selben Alter. Mit zehn Jahren stand der Berufswunsch fest: Puppenspieler und Opernregisseur. Mit vierzehn baute Habjan seine ersten Puppen, nebenher hat er fünfzehn Jahre lang „mäßig Geige gespielt“. Es folgt ein Studium der Musiktheaterregie in Wien, „das mich furchtbar genervt hat“ – ganz im Gegensatz zu den Workshops des australischen Puppenspielers Neville Tranter, an denen Habjan mehrfach teilnimmt. „Tranter hat mich wahnsinnig stark beeinflusst.“

Musik spielt im Puppentheater eine wichtige Rolle

Nikolaus Habjan
Nikolaus Habjan © Marija Kanizaj

Aber auch die Musik lässt Habjan nicht los. „Es gibt keine Sprechtheaterinszenierung von mir, in der nicht Musik die wichtigste Rolle spielt.“ Zudem ist der umtriebige Theatermann als Kunstpfeifer unterwegs, um in seinem Programm „Ich pfeife auf die Oper“ Arien von Rossini bis Offenbach völlig ohne Stimme tönen zu lassen, und mit der Musicbanda Franui lässt er an einem Abend mit Werken von Schubert, Schumann, Brahms und Mahler seine Puppen als Rezitatoren auftreten. Wie tief er dann mit einem eigentlich leblosen Ding aus Kunstharz, Watte, Stoff und Holz in die Tiefen der menschlichen Psyche vorzudringen versteht – das kann man jeden Abend wieder aufs Neue erfahren.

Sein Herzensprojekt aber ist das Stück über Friedrich Zawrel, „weil er auch ein so guter Freund war. Nach seinem Tod hat er sein Gewand testamentarisch der Puppe vermacht: Stock, Brille, Schuhe, Jacke – alles von ihm. Sein Wunsch war, dass seine Puppe die Grabrede hält. Ich bin sonst nie nervös, aber da schlug mir das Herz bis zum Hals.“

Puppenspieler Nikolaus Habjan im Porträt:

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