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Opernregisseur Calixto Bieito im Porträt

Jenseits der Komfortzone

Ihm eilt der Ruf des Skandalregisseurs und Scharfmachers voraus, doch Calixto Bieito steigt auch hoch sensibel in die Innenwelten seiner Opernfiguren hinab

vonPeter Krause,

Er gilt als radikale, als ob­sessive Skandalnudel der Oper. Bei Calixto Bieito gibt es garantiert kein Steh­theater zum Wohlfühlen, son­dern stets physisch wie psychologisch zugespitztes Musik­theater, das oft polarisiert, das niemanden kaltlässt. Im Ge­spräch wirkt der Katalane frei­lich nicht provokant, sondern so bedacht wie liebenswürdig. Hat er sich seit seinen ersten Aufsehen erregenden Inszenie­rungen im deutschen Norden verändert, als er in Hannover zumal mit Verdis handlungs­krudem „Il Trovatore“ für Schockwirkungen sorgte? „Mir fällt es schwer, eine eigene Per­spektive auf mich selbst einzu­nehmen. Dennoch bin ich si­cherlich viel ruhiger geworden und werde natürlich älter. Ob­wohl es schwer ist: Heute ver­suche ich, mich selbst stärker anzunehmen“, gesteht der 54-Jährige.

Musik spielt seit seiner Kindheit eine große Rol­le: Seine Mutter ist Chorsän­gerin, sein Bruder Musiker, er selbst war Mitglied im Kin­derchor der Jesuiten. „Meine Erinnerung geht weit zurück, wie ich als Siebenjähriger Vivaldi sang. Die Musik hat mir seit meiner Jugend geholfen, mit meinem Leben klarzukom­men. Als Regisseur darf ich nun Gefühle und Gedanken durch die Musik mit anderen Menschen teilen.“ Die Musik ist für Bieito denn auch der Motor und die Nervenbahn einer Oper. „Aus der Musik beziehe ich meine pri­märe Inspiration für die Inszenierung. Wenn ich die Musik nicht mag, kann ich eine Oper nicht machen, sie wäre für mich nicht einfach aus dem Libretto inszenierbar. Alles kommt aus der Musik: Sie ist die Landschaft der Fantasie und die gemeinsame Basis für Dirigent und Regisseur, die daraus beide die Farben ihrer Interpretation ableiten.“

Szenenbild aus "Platée"
Platée/Oper Stuttgart © A. T. Schaefer

Calixto Bieito: Regietheater mit Sprengkraft

Wer kürzlich in Hamburg bei seiner Sicht auf Verdis späte Shakespeare­-Anverwandlung einmal mehr eine garantiert nicht jugendfreie, blutspritzende „Bildzeitungs­-Oper für die Besserverdienenden“ er­wartete, wie in einer ihrerseits sensationsheischenden Kritik über eine Inszenierung zu le­sen war, wurde in dieser Hin­sicht enttäuscht. „Den Otello habe ich sehr reduziert ange­legt. Mich interessieren die Innenwelten der Figuren und deren plötzliche Explosionen.“ Wenn Calixto Bieito sich daran macht, sein Regietheater mit Sprengkraft zu entwickeln, dann funktioniert das letztlich nur, wenn die Sängerdarsteller die Komfortzone des Stehens und Singens verlassen und damit jene entscheidende Grenze überwinden, an der musikalischer Ausdruck zur Wahrhaftigkeit wird. Verrät der Regisseur uns das Geheim­nis seiner extrem intensiven Arbeit mit Sängerinnen und Sängern? „Es gibt keinen Trick. Und sollte es ihn geben, dann kenne ich ihn nicht. Die Basis ist Vertrauen und die Vermei­dung von Angst.“

Szenenbild aus "Otello"
Otello/Staatsoper Hamburg © A. T. Schaefer

Er habe star­ke Bilder im Kopf und bringe sie in die Arbeit mit dem Team ein. „Die Sänger nutzen diese Bilder, um ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Jeder wird Teil des kreativen Prozesses.“ Auf diesem Wege entsteht dann eine Freiheit, die Sänger enorm genießen. Sie spüren Bieitos Bekenntnis: „Ich bin ein einfacher Mensch, der ehr­lich mit seiner Umwelt kom­muniziert.“ Will sagen: Bieito ist kein Scharfmacher, der auf krasse Effekte der Effekte zu­liebe setzen würde. „Die Sän­ger gehen in den Proben oft sehr weit aus sich heraus, so­ dass ich selbst erstaunt bin. Wir begeben uns gemeinsam in einen sehr starken Prozess, der gleichzeitig angenehm ist. Glücklicherweise leben wir in einer Zeit fantastischer Sänger, die allzu gern die Komfortzo­ne der Kunstproduktion ver­lassen.“

Tiefer Blick in die Seele

Außenseiter, Andersartige, ge­schundene Kreaturen am Ran­de der Gesellschaft sind es kaum zufällig immer wieder, denen Bieito tief in die Seele blickt. Bergs „Wozzeck“, Verdis „Otello“ oder Bizets „Carmen“ ge­wann er so ganz neue Facetten ab. Oder eben Rameaus „Platée“, die hässliche Sumpf-­Nymphe, die im Glauben an die eigene Attraktivität die Intrige des Obergottes Jupiter erst am bösen Ende kapiert. Bieito be­setzte die Titelpartie in Stutt­gart mit einem Tenor, der die Nymphe als Transvestit spiel­te. Die Fremdartigkeit dieser armen, nach Liebe hechelnden Kreatur wurde da geradewegs ausgestellt. Es entstand ein erschütterndes Porträt der tra­gischen Figur eines bitter Zu­rückgewiesenen.

Calixto Bieito inszeniert „Carmen“:

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