Wie kaum eine andere Sängerin unserer Zeit steht sie mit ihren künstlerischen Leistungen für unbedingte Wahrhaftigkeit. Joyce DiDonato hat seit ihrem internationalen Durchbruch direkt nach der Jahrtausendwende den Belcanto revolutioniert, der oft als ästhetisches Phänomen missverstanden und vom weltfernen Elfenbeinturm herabgesungen wurde. Bei ihr avancieren die Koloraturketten zu Psychogrammen von erstaunlicher emotionaler Tiefe. Verbunden mit ihrem darstellerischen Talent gelingt es ihr so, komplexe Charaktere auf der Bühne erstehen zu lassen. Dabei haucht sie den Dramen eine spannungsvolle Unmittelbarkeit ein, worüber man als Opernbesucher fast vergessen kann, dass die Kompositionen vor 150 Jahren oder mehr entstanden sind.
Ganz geradlinig verlief DiDonatos Karriere nicht, hat sie doch nach ihrer Ausbildung noch lange als Kellnerin arbeiten müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Eine Arbeit, die die Sängerin gerne gemacht hat. Bis heute genießt sie gutes Essen und lässt sich in der gemeinsamen Wahlheimat Barcelona gerne von ihrem Partner bekochen.
Durchbruchbruch an der Scala
Aufgewachsen ist sie als das zweitjüngste von sieben Kindern einer musikbegeisterten Familie im amerikanischen Prairie Village. Zum Studium ging sie nach Wichita an die State University und nach Philadelphia an die Academy of Vocal Arts. Die Santa Fe Opera bot ihr ein erstes Engagement für Nebenrollen und Zweitbesetzungen an. Doch nach ihrem Debüt an der Mailänder Scala als Regina in Rossinis „La Cenerentola“ in der Spielzeit 2000/2001 ging alles ganz schnell. Seitdem gastiert sie an den bedeutendsten Opernhäusern der Welt.
Immer wieder hat sie in den letzten Jahren auch in weniger bekannten Werken mitgewirkt, um diese mit einem hohen künstlerischen Anspruch einem breiteren Publikum zu vermitteln. Beispielsweise übernahm sie 2012 an der Metropolitan Opera die Partie der in Gefangenschaft befindlichen, aber ungebrochen stolzen Königin in Donizettis zu Unrecht vernachlässigter Oper „Maria Stuarda“.
Joyce DiDonato als Dido
Für die 2017 erschienene Gesamteinspielung von Hector Berlioz’ ebenso kaum bekannter Monumentaloper „Die Trojaner“ sang DiDonato die Partie der Dido. Für diese künstlerische Leistung erhält sie am 15. Oktober den OPUS KLASSIK in der Kategorie „Operneinspielung des Jahres (Oper 19. Jahrhundert)“. Das Werk von mindestens vier Stunden Spielzeit für zwanzig Solisten, großes Orchester, Bühnenorchester und Orchester hinter der Szene sowie für großen Chor stellte der Komponist 1864 fertig, erlebte es aber nie komplett auf der Bühne. Auch nach der Uraufführung im Dezember 1890 blieb das Werk bis in die Gegenwart hinein ein Geheimtipp.
Die Partie der Dido beschreibt Joyce DiDonato in kontrastierenden Stichworten, die ahnen lassen, wie vielschichtig ihre Interpretation angelegt ist: „aufbrausend, feinfühlig, grimmig, herzzerreißend, schicksalsergeben, furchteinflößend, glückselig.“ Tatsächlich ist die Dido ein Charakter, für den die Ton-Archive vergleichsweise wenig Orientierung bieten, weil mit der neuen Studioaufnahme erst die dritte vollständige Einspielung vorliegt. Ist deshalb ein größerer Interpretationsfreiraum gegeben? Das ist eine Frage, die sich für eine so unabhängige Sängerin eigentlich gar nicht stellt: „Natürlich respektiere und bewundere ich all das sehr, was vor mir geleistet wurde, und es beeinflusst mein Künstlertum. Aber vorrangig ist für mich als Darstellerin, dass ich eine Möglichkeit finde, mir vorzustellen, ich würde in genau diesem Moment tatsächlich komponieren und diesen Text und diese Musik zum ersten Mal kreieren. Dies ist der einzige Weg, über den ich die Reise meines Charakters voll und ganz durchleben kann.“
„Ja, ich bin ein Fan“
Dieser generelle künstlerische Ansatz erklärt, warum ihre Darbietungen das Publikum so direkt berühren. Berlioz hat es ihr dabei offenbar ganz besonders angetan. Kürzlich gab sie in Berlin sein „La Mort de Cléopâtre“ und im Oktober ist sie – erneut als Dido – in Wien zu sehen. Berlioz’ Werke auf die Bühne zu bringen, ist ihr ein persönliches Anliegen und dass seine Musik oft geringschätzt wird, kann sie nicht verstehen: „Es ist wahr, dass seine Musik einen sehr ausbalancierten Zugang verlangt – zu ungezügelt und es wird kitschig, zu energisch und es wird italienisch, zu wenig ernst und es wird banal.“
Wenn Sie aber die Komposition genauso nehmen, wie sie ist, und ihren Markierungen und impliziten Anweisungen sorgsam folgen, dann beginnt sie zu zischen und zu knallen und sich aufzuschwingen, sich zu winden und zu drehen und trägt Sie davon in Klangwelten, die nie zuvor gehört wurden.“ Da verwundert es nicht, dass DiDonato klar bekennt: „Ja, ich bin ein Fan, und ich finde, seine kühne, erfinderische, manchmal verrückte Musik zählt zu der dankenswertesten, die ich zu singen die Ehre habe.“
Into the Fire
DiDonato hebt aber nicht nur alte Schätze, sondern engagiert sich auch für Neue Musik. Ein spannendes Beispiel dafür ist ihr Album „Into the Fire“, das die Künstlerin Camille Claudel würdigt. Die innere Zerrissenheit dieser beeindruckenden Frau hat der Amerikaner Jake Haggie in Töne gefasst. „Jake zeigt sich hier wieder einmal als großer Geschichtenerzähler“, sagt Joyce DiDonato. „Der Liederzyklus gibt Camille Claudel eine Stimme, es ist eines der bewegendsten Projekte, bei dem ich jemals mitgewirkt habe.“
Sehen Sie hier „Adieu Fière Cité“ aus Berlioz‘ „Les Troyens“ mit Joyce DiDonato und dem Orchestre philharmonique de Strasbourg: