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Porträt Pavel Haas Quartet

„Das schönste Gefängnis“

Beim Pavel Haas Quartet hört man die böhmisch-mährische Klangtradition auch dann noch, wenn es Beethoven spielt

vonRobert Fraunholzer,

Normalerweise erscheinen Streichquartette nie geschlossen zum Interview, sondern ein Sprecher wird vorgeschickt. Die übrigen lassen ausrichten, sie seien zu beschäftigt. Oder sind zu schüchtern. Anders beim Pavel Haas Quartet. Hier treten alle vier an. Achtäugig belauert wird der Fragensteller – als möglicher Fallensteller. Doch man beäugt sich auch wechselseitig. Überraschte Blicke nach vorwitzigen Antworten untereinander verraten: „Na, warte!“

 

Die jeweils abschließende Antwort kommt meist von der Ersten Geigerin des Quartetts, Veronika Jarůškova. Im wirklichen Leben ist sie mit dem Cellisten des Quartetts, Peter Jarůšek, verheiratet. Und betont während des Interviews amüsante drei Male: „Als ich 2002 das Quartett gründete …“ Die Grundphilosophie hat man vom gemeinsamen Lehrer Milan Škampa, dem ehemaligen Bratscher des berühmten Smetana-Quartetts, gelernt. Sie lautet: „Das Streichquartett ist das schönste Gefängnis überhaupt.“

 

Auf Stimmungen, Steigerungen und Stürme mehr erpicht

 

Seitdem das Pavel Haas Quartet im Jahr 2005 mit dem Premio Paolo Borciani einen der wichtigsten Streichquartett-Preise der Welt gewann, mischt man im internationalen Zirkus mit. Nach zweimaligem Besetzungswechsel scheint mit Eva Karová (Zweite Geige) Stabilität eingekehrt. Gemeinsam mit dem musikalisch feinzeichnenden Bratscher Pavel Nikl bilden die beiden den verbindenden Puffer zwischen den – so scheint es – heikleren, temperamentgeladen-verehelichten Außenplätzen.

 

Mit schroffem Strich, auf Stimmungen, Steigerungen und Stürme mehr erpicht als auf Transparenz, bildet das Pavel Haas Quartet musikalisch einen Gegenpol etwa zum kühlen Perfektionismus eines Emerson String Quartet. Mit kreisenden Oberkörpern und glühend expressivem Ton, altgolden im Klang, neigt das Quartett zu durchaus extremer, fetziger Dynamik. Man spielt gerne laut. Im Konzert flattern die Bogenhaare schon nach dem mittleren der Drei Divertimenti von Benjamin Britten extatisch durch die Luft. Veronika Jarůškova springt bei den Akzenten von Schostakowitschs As-Dur-Quartett op. 118 fast vom Sitz auf.

 

Großes Interesse am „Schmutz“ der Musik

 

Ein „wildes Quartett“, kein Zweifel. Am „Schmutz“ der Musik (ein Lieblings-Ausdruck von Nikolaus Harnoncourt) scheint man mehr interessiert zu sein als an lupenreiner Klarheit, Durchhörbarkeit und Diktion. Auch am gern aufscheinenden Sentiment zeigt sich die Tradition tschechischer Geiger, obwohl die Musiker sich selber hiervon distanzieren. „Zu viele Glissandi, zu viele Rubati“, kritisiert Peter Jarůšek das Spiel des legendären Böhmischen Streichquartetts. Das Auffälligste aber: Auf den Primarius, hier eine Primaria, schauen alle Mitglieder wie gebannt – als wär’s eine Dirigentin. Man scheint stets zu fragen: „Darf ich?“ Und wenn Veronika Jarůškova ganz ruhig weiterspielt, verheißt das: „Probier’s halt, du wirst schon sehen …“

Die Fähigkeit zu singen, als sei’s ein Schlaf- oder Wiegenlied, bleibt in der Kunst des Pavel Haas Quartets auch dann noch lebendig, wenn sie Beethoven oder Schubert spielen. Benannt hat man sich nach dem 1944 in Birkenau ermordeten Komponisten der Oper Šarlatán. „Wir waren zutiefst berührt, als wir das zweite Streichquartett von Pavel Haas hörten“, so Jarůškova über diese von den Nazis als „entartet“ verfemte Musik. Dass die Bruchlinien der böhmisch-mährischen Klangtradition bis in die Gegenwart reichen, hört man bei diesem wunderbaren Ensemble sofort. So ungezähmt, schroff und hochemotional gab sich lange kein Streichquartett.

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