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Porträt Anhaltische Philharmonie Dessau

Bayreuth des Nordens

Vor 250 Jahren ward in Dessau auf Wunsch eines Fürsten die Anhaltische Philharmonie gegründet

vonChristian Schmidt,

Was sich nach einer kulturpolitisch finsteren Zeit sagen lässt: Es besteht doch noch Hoffnung in Sachsen-Anhalt. Ministerpräsident Reiner Haseloff schreibt der Anhaltischen Philharmonie zum 250. Geburtstag ein schönes Grußwort, und nun – so will man es glauben in Dessau – ist das traditionsreiche Orchester erst einmal gerettet. Diesen schönen Schimmer sah hier lange niemand scheinen, als Kultusminister Stephan Dorgerloh noch Kahlschlag in einem der kulturell wertvollsten und ältesten deutschen Landstriche betrieb und sich – als Theologe – ausschließlich auf das 2017 anstehende Reformationsjubiläum kaprizierte.

Entsprechend blickte das Anhaltische Theater Dessau als Hauptspielstätte des Orchesters schweren Zeiten entgegen: Der riesige, angeblich überdimensionierte Bau aus den 1930er Jahren, der noch heute über eine der größten Drehbühnen Deutschlands verfügt, schmückt seit 2013 die Rote Liste des Deutschen Kulturrates. Die Zukunft des Hauses stand auf tönernen Füßen – und alle Sparten konnten nur gerettet werden, da sämtliche Mitarbeiter auf zehn Prozent ihres Gehalts verzichteten, auch die Philharmoniker.

Dessaus dramaturgisch wie musikalisch großartiger Generalmusikdirektor Antony Hermus warf 2015 hin – aus persönlichen Gründen, wie es damals hieß. Er verabschiedete sich monströs mit dem ersten Ring seit Jahrzehnten. Nun gibt es mit Marco Tullner einen neuen Kultusminister, doch ob er sich im Zuge der anstehenden Jubiläen in Wittenberg und am Bauhaus anders profilieren wird?

Neben dem weltbedeutenden Gropius-Erbe in einer 80 000-Einwohner-Stadt zu bestehen, gelingt der Anhaltischen Philharmonie vor allem durch ihre Bürgernähe. Viele Mitglieder unterrichten auch an der städtischen Musikschule, haben ihre Kinder in den städtischen Vereinen, man begegnet sich auf der Straße. Hermus führte ein, dass vom Podium nicht mehr durch den Bühneneingang abgegangen wird, sondern durch das Vorderhaus, um mit dem Publikum nach den Konzerten ins Gespräch zu kommen; zahlreiche Spezialveranstaltungen für Familien mit Kindern taten ein Übriges. „Man kann ohne Überheblichkeit sagen: Die Dessauer lieben uns“, sagt Orchestervorstandsmitglied Jens Uhlig. Das hat nicht nur, aber auch viel mit Lokalpatriotismus zu tun.

In jedem Konzert soll etwas Neues, Unerhörtes erklingen

Nicht umsonst wird der neue Generalmusikdirektor Markus L. Frank in der Jubiläumssaison in jedem Konzert Werke ausgraben, die mit Dessau zu tun haben – entweder sie wurden hier uraufgeführt wie Schönberg, Weill, Krenek und Bartók, oder sie stammen aus den Archiven eher unbekannterer Chefdirigenten wie Friedrich Schneider oder August Klughardt, die zugleich auch komponierten. So soll in jedem Konzert etwas Neues, etwas Unerhörtes erklingen.

Ein Konzept, das ein interessantes Bild wirft auf die vielleicht an Höhepunkten arme, doch in ihrer Kontinuität sehr reiche Geschichte der Anhaltischen Philharmonie. Deren Anfänge reichen bis ins Jahr 1766 zurück, als Friedrich Wilhelm Rust auf Wunsch des kulturaffinen Philanthropen Fürst Leopold III. dessen Hofkapelle gründete. Diese wuchs schnell heran, entsandte schon 1876 zwölf Musiker in Wagners erstes Festspielorchester nach Franken und entwickelte sich mit ihrer eigenen Wagnerpflege zum „Bayreuth des Nordens“ in Dessau.

„Da können wir heute nicht mehr mithalten“, bedauert Uhlig. „Wegen des niedrigeren Gehaltsniveaus kommen gute neue Musiker gar nicht erst zu uns.“ Mit derzeit 78 Stellen gehört die Philharmonie zu den deutschen B-Orchestern, vier weitere Stellen sollen durch Altersabgänge wegfallen. Trotz des hohen Publikumszuspruchs klingt es da fast wie ein Stoßseufzer, wenn der Tubist sagt: „Zum Jubiläum erwarten wir uns auch von der Politik eine Wertschätzung.“ Ob sie ihn erhört?

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