Manche Musiker des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters erzählen diese Geschichte aus dem Jahr 2003 noch heute voller Respekt. Es war in einer Probe zu Strauss’ Die Frau ohne Schatten – einer Produktion, für die der damals noch als Gast dirigierende Sebastian Weigle später die Auszeichnung „Dirigent des Jahres“ bekommen sollte: Ein falsch klingender Fagott-Einsatz, Weigle ruft über das riesig besetzte Strauss’sche Tutti hinweg den entscheidenden Hinweis „Tenorschlüssel, nicht Bassschlüssel“. Fehler gehört, umgehend analysiert, geklärt – und nicht weiter dramatisiert.
Angesprochen auf die damalige Orchesterprobe will Weigle heute die präzise Situationsanalyse dennoch keineswegs zu seinen entscheidenden Qualitäten erklären: „Jeder Dirigent hat irgendwo seine Stärken, ob die nun aber genau darin liegen?“ Dem seit 2008 amtierenden Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt kommt da ganz anderes in den Sinn: „Es gäbe sicher noch viele andere Dinge anzuführen, die für eine effektive Leitung vonnöten sind: ohne viel Zeit zu verlieren relativ schnell an sein Ziel zu gelangen, Dinge anzusprechen, denen ein Mangel an Qualität anhaftet“ – all das und mehr zählt er auf. Und ist da mit sich ganz zufrieden: „Jedenfalls kann ich mich auf meine Ohren und meinen Verstand sehr verlassen.“
„Das Leben ist zu kurz für Fastfood und billigen Rotwein“
Und obendrein auf die Loyalität seiner Frankfurter Musiker, denn Weigle ist ausgesprochen beliebt. Allerdings macht er es seinem Orchester auch leicht: Denn der gebürtige Berliner, der 15 Jahre als erster Solohornist in der Staatskapelle Berlin spielte und von Daniel Barenboim erst zum Taktstock gebracht wurde, ist ein ausgesprochen höflicher Dirigent. „Ich habe den Eindruck“ oder „Darf ich das bitte nochmal haben“ sind häufig gehörte Formulierungen im Orchestergraben, stets gepaart mit einem „Danke“.
Und noch etwas fällt auf: Der Dirigent ist kein Asket, musikalisch nicht und ebenso wenig als Mensch. „Liebe geht durch den Magen, Musik auch, das Kulinarische sowieso“, sagt er. „Ich bin ein Genießer und stehe dazu. Das Leben ist viel zu kurz für Fastfood, schlechten Kaffee und billigen Rotwein.“ Und wenn er die Wahl hat, als Kopf- oder als Bauch-Musiker charakterisiert zu werden, erfindet er den „Bauch-Kopf-Musiker“ – klinge das nicht toll? Mag der Start auch gern aus dem Bauch heraus mit Gefühl und Impetus erfolgen, wenn dann die Rechnung mit der sogenannten Unbekannten hinzukommt, ist sofort der Kopf gefragt. „Das können manchmal Bruchteile von Sekunden sein, doch danach freue ich mich dann wieder auf den Bauch.“ Und wie zur Absicherung schiebt Weigle rasch hinterher: „Der Kopf steuert – ob bewusst oder unbewusst – aber schon das gesamte Geschehen.“
Dabei könnten künftig fixe Fehleranalysen der Art „Tenorschlüssel, nicht Bassschlüssel“ häufiger gefragt sein, sitzen doch nun regelmäßig auch Stipendiaten der 2015 neu gegründeten Paul-Hindemith-Akademie im Orchester. Diese Orchesterakademie – benannt nach dem berühmtesten Bratscher aus den Reihen des Opernorchesters – bietet jungen Musikern am Ende ihres Studiums die Möglichkeit, Orchesterluft zu schnuppern und Praxiserfahrungen zu sammeln. „Was ich da alles rufe, möchten sie gar nicht wissen“, scherzt Weigle. „Aber Spaß beiseite: Mir ist es eine Freude, den jungen Damen und Herren der Akademie ein positives Zeugnis auszustellen. Denn nicht nur als Musiker machen sie ihre Sache richtig gut, sondern auch als Menschen sind sie besonders. Und das erfüllt einen mit Respekt und Stolz.“