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Porträt Simon Gaudenz

„Mit lockeren Zügeln fest im Sattel“

Vor einem Jahr hat der Schweizer Dirigent Simon Gaudenz die Leitung der Hamburger Camerata übernommen und fühlt sich in der Hansestadt schon fast wie zu Hause.

vonSören Ingwersen,

Kein Stillstand, alles soll fließen – das ist das Wichtigste für Simon Gaudenz. Und bei ihm geriet so einiges in Fluss, als er 2009 mit dem Deutschen Dirigentenpreis die höchstdotierte Auszeichnung für Dirigenten in Europa erhielt. Es hagelte nur so von Anfragen. „Zu Anfang fühlt man sich sehr geschmeichelt und nimmt alles an“, gesteht der Schweizer, der diesen Monat seinen 39. Geburtstag feiert. Inzwischen hat er gelernt, auch mal Nein zu sagen. Ein entschiedenes Ja hingegen erhielt die Hamburger Camerata, als sie ihm anbot, ab der Saison 2012/2013 den Posten des Chefdirigenten zu übernehmen.

Gaudenz’ Rückblick auf das erste Jahr mit Hamburgs größtem Kammerorchester fällt durchweg positiv aus: „Ich stieß von Anfang an auf offene Ohren und viel Zustimmung, was meine künstlerischen Ideen betraf.“ Dass das Orchester sich selbst finanzieren muss und auf ein entsprechend treues Abonnentenpublikum angewiesen ist, empfindet Gaudenz nicht als Einschränkung: „Unser Publikum ist sehr aufgeschlossen und bekommt seit Jahren Programme geboten, die auch unbekannte, ungehörte und unbequeme Werke mit einschließen.“

Das Kernprogramm der Camerata ist und bleibt jedoch die Wiener Klassik, die auch für Gaudenz, der seit 2010 auch als Erster Gastdirigent des Odense Symphony Orchestra tätig ist, derzeit den zentralen Punkt seiner künstlerischen Arbeit darstellt. Der zentrale Punkt auf der Landkarte ist jedoch manchmal schwer zu finden, denn bei zwanzig Programmen im Jahr und ein bis zwei Konzerten pro Woche verbringt der Dirigent genauso viele Nächte in Hotelzimmern fremder Städte wie daheim im Münchner Schwabing.

Manchmal reisen Frau und Tochter mit


„Auf der einen Seite liebe ich es, Neues kennen zu lernen. Eine Nebenwirkung, auf die ich aber gerne verzichten könnte, ist das Reisen selbst. Das Leben in Hotels ist ziemlich ermüdend.“ Und mit der Einsamkeit hat er auch manchmal zu kämpfen. Deshalb freut er sich besonders, wenn seine Frau und seine einjährige Tochter ihn auf einer Konzertreise begleiten oder er am Zielort Bekannte treffen kann: „Zuhause ist dort, wo die Freunde sind.“ In Hamburg hat Gaudenz sogar Verwandte – kein Nachteil für den Wohlfühlfaktor in der Hansestadt.

Vergleichsweise gut fühlt sich der studierte Klarinettist, der in seiner Jugend Rockmusiker und Vereinsfußballer war, inzwischen auch mit seiner Krankheit. Als Epileptiker hat er zahlreiche Medikationen ausprobiert, darunter einige, die seinen emotionalen Haushalt übernatürlich sensibilisiert haben: „Es gab Zeiten, da musste ich schon bei dem Gedanken an eine besonders schöne Modulation bei Mendelssohn oder ein Lied aus Schuberts Winterreise weinen, weil ich davon unglaublich stark berührt wurde.“ Inzwischen ist die Medikation gut eingestellt, hat sich der Gefühlshaushalt wieder eingependelt, liegen die letzten Anfälle, die glücklicherweise nur während der Einschlaf- und Aufwachphase eintraten, bereits mehrere Jahre zurück. „Ich habe durch diese Krankheit so viel über mich gelernt und mich so sehr entwickelt, dass ich ihr fast schon dankbar bin. Sie gehört zu mir, das akzeptiere ich.“

An der Programmatik und am Ensembleklang wird gefeilt


Ein scheinbar unzertrennliches Paar sind aber auch Gaudenz und die Camerata geworden. Die Chemie stimmt, nur die Besonderheiten des Kammerorchesters möchte der Dirigent noch stärker herausarbeiten und neben der Begleitung von Kirchenmusik das Programm zukünftig stärker auf das sinfonisch interessierte Publikum ausrichten. Auch am Ensembleklang soll gefeilt werden, um „eine moderne Art, Alte Musik zu spielen“ zu erarbeiten. Wem sollte dieses Vorhaben gelingen, wenn nicht Gaudenz, dessen Credo lautet: „die Musiker frei laufen lassen und gleichzeitig die Zügel in der Hand behalten“?

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