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PORTRÄT SOLISTENENSEMBLE KALEIDOSKOP

Sinn und Sinnlichkeit

Das Solistenensemble Kaleidoskop verführt auf Kampnagel Into The Dark

vonCorinna Jarosch,

Theater ist Illusion, und gerade die Oper ist bekannt dafür, keine Effekte zu scheuen und keinen Aufwand der Bühnenmaschinerie zu schonen. Große Bilder und ästhetische Optik, dafür steht Musiktheater. Was aber bleibt, wenn man ausgerechnet das abzieht, wenn man die Lichter des schönen Scheins einfach ausknipst?

Genau dieser Frage geht die Produktion der Zeitgenössischen Oper Berlin in einer Zusammenarbeit mit Kampnagel nach: Sie  führt den Zuschauer Into the Dark. Entstanden ist ein Experiment mit musikalischen Klängen in absoluter Dunkelheit.

Dass daraus dennoch ein Fest für die Sinne wird, dafür sorgen die Musiker des Ensembles Kaleidoskop. Auch sie müssen sich auf die Dunkelheit einlassen, müssen beim Musizieren auf die gewohnte Kommunikation durch Blicke verzichten und ausschließlich aufeinander hören. Mit ihren Streichinstrumenten bewegen sich die zehn Musiker zwischen den Zuschauern und lassen so Klangräume entstehen. Der Hörer kann weder sehen, welche noch wie viele Spieler im nächsten Moment einsetzen werden. Die Musik ist „unvorhersehbar“, wird zum Ereignis.

„Wir hinterfragen unsere Gewohnheiten, stellen unsere Ausdrucksmittel auf den Prüfstand“, erklärt Regisseurin Sabrina Hölzer. „Es reicht heute nicht mehr, einfach nur Komponisten nach 1945 zu spielen, das machen inzwischen die großen Opernhäuser auch. Auf der Suche nach seinen Möglichkeiten, muss sich das Genre selbst thematisieren“, beschreibt Hölzer den aktuellen Weg im Musiktheater.

Into the Dark hat weder ein Stück als Vorlage, noch die Möglichkeit, etwas zu bebildern. Einzig die musikalische Struktur schafft Orientierungspunkte im Klangraum. Die ausgewählten Werke sollen gleichsam in einen Dialog treten. Aus der Vielfalt der Stilrichtungen ergibt sich die dramaturgische Spannung, die ohne den roten Faden einer Geschichte auskommt. In den Köpfen des Publikums entstehen eigene Bilder und Assoziationen. Das Hören bindet so den Einzelnen in einen kreativen, theatralen Prozess mit ein. Er wird im wahrsten Sinne des Wortes mit-inszeniert, ist mitten in der Szene.

Die Rolle des Hörers und sein unmittelbares Erleben interessiert Sabrina Hölzer schon lange. Immer wieder hat sie in Projekten und Inszenierungen Musik als „inneres Theater“ umgesetzt. Aber in dieser Konsequenz, so ganz ohne jeden optischen Reiz, das war auch für sie neu, sagt sie.

Damit Musiker und Publikum nicht hilflos im Dunkeln tappen, hat sie sich Rat geholt bei blinden Menschen und einer Mobilitätstrainerin. Um jedem Zuhörer die Freiheit zu geben, ganz in seiner eigenen Welt zu versinken, hat sich das Team ein genau abgezirkeltes System ausgedacht. Der Raum wurde von Ladislav Zajac so gestaltet, dass die Musiker sich darin wie auf den Koordinaten eines Schachbretts bewegen. Mit den Füßen erspürbare Leitsysteme am Boden weisen den Weg. Und wenn ein Zuhörer den Raum verlassen möchte, nimmt eine Infrarotkamera ein verabredetes Zeichen wahr und zwei Guides stehen zur Verfügung. So führt im Notfall ein Blinder den Sehenden, leitet ihn durch den dunklen Raum, durch seine Welt der Klänge zurück und hinaus in die grelle Welt der visuellen Eindrücke.

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