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Porträt Thomas Adès

Ob gepuderter Skandal-Adel oder Würgeengel – bei ihm funktioniert alles

Thomas Adès setzt beim Komponieren auf Instinkt und Pragmatismus – die Probleme überlässt er anderen.

vonSören Ingwersen,

Man kann es nicht leugnen: Werke der zeitgenössischen Musik klingen zuweilen mehr nach akademischer Übung als nach einem tiefen Herzensanliegen. Anders bei Thomas Adès. Die Quelle der Musik sei die Liebe, sagt der britische Komponist. Daher klinge in seinen Ohren alles flach, was nicht von starken Emotionen getragen werde. In der Überzeugung, dass Musik die Herzen der Zuhörer erreichen muss, ist Adès von Anfang an seinen eigenen Weg gegangen, um abseits der einschlägigen Zentren Neuer Musik sein Publikum zu suchen – und auch zu finden.

Erst durch das Klavierspiel und das Dirigieren entstand bei Adès der Wunsch, selbst Musik zu schreiben. Nach seinem Musik- und Kompositionsstudium am King’s College in ­Cambridge wurde er mit 22 Jahren fester Komponist des Hallé-Orchestra, das zu den ältesten Klangkörpern Großbritanniens zählt. Zwei Jahre später gelingt ihm der internationale Durchbruch mit „Powder Her Face“, einer Oper über die skandal­trächtige Herzogin von Argyll. Schon hier zeigt sich Adès’ Vorliebe für rhythmisch komplexe Texturen sowie den Rückgriff auf ganz unterschiedliche Musikstile. In seinen Werken finden sich Anklänge an Jazz, Blues, Tango und Varietémusik, mal fühlt man sich in die Zeit des Barock zurückversetzt, mal glaubt man, dass einem die impressionistischen Wolken eines Maurice Ravel oder die romantischen Stürme eines Franz Liszt um die Ohren wehen – und auch in atonale ­Gefilde entführt der 1971 in London geborene Komponist seine Zuhörer so elegant beiläufig, dass es niemandem wehtut.

Keine Berührungsängste mit der ­Tradition: Thomas Adès

Thomas Adès
Répétition générale de l’Orchestre de Paris, le 6 novembre 2018, à la Philarmonie. Paris, France.

So wandlungsfähig Adès sich mit seiner Musik präsentiert, so wenige Berührungsängste hat er mit der ­Tradition. Im Gegenteil: Sie beflügelt ihn. Angesprochen auf sein Klavierkonzert „In ­Seven Days“, das er 2008 für den Pianisten Kirill Gerstein schrieb, gab Adès zu Protokoll, dass die Fülle der Werke dieser Gattung ihm das Komponieren erleichtere, weil er auf diese Weise schon vorab hören könne, was funktioniere und was nicht.

Bei Thomas Adès, der oft als Interpret und Dirigent seiner eigenen Werke in Erscheinung tritt, scheint indes alles bestens zu funktionieren. Nach „Powder Her Face“ entstanden noch zwei weitere Opern: „The Tempest“ nach Shakespeares letztem Theaterstück und „The Exterminating Angel“ nach dem gleichnamigen Film von Luis Buñuel. 2016 feierte der Dreiakter bei den Salzburger Festspielen seine Uraufführung. Zwei Jahre später kam Adès noch einmal mit dem Medium Film in Berührung, als er die Musik zu dem Kino­drama „Colette“ beisteuerte.

Aber auch ohne den visuellen Reiz wird Adès’ Musik von starken Bildern getragen, die teils durch ein Programm vorgegeben sind, teils aus den sprunghaften Farbwechseln der Musik assoziativ hervorwachsen. Viele Vokalwerke finden sich unter Adès’ Kompositionen, aber auch Stücke für Klavier oder in großer Orchesterbesetzung wie sein 2005 uraufgeführtes Violinkonzert, das als eines der beliebtesten Solokonzerte der zeitgenössischen Musik gilt. Ohnehin finden Adès’ Kompositionen oft in kürzester Zeit ihren Weg ins Repertoire, was womöglich auch auf den britischen Kulturkreis des Komponisten zurückzuführen ist: Während deutsche Komponisten sich immer mit Problemen auseinandergesetzt hätten, arbeiteten englische Künstler instinktiv und pragmatisch, erklärt Adès die spezifische Eingängigkeit seiner Musik.

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