Es ist ein freier, tröstlicher Blick in diesen Tagen, weit über das herbstliche Dresdner Tal hinweg. Von der Terrasse seines Hauses aus liegt Udo Zimmermann die ganze bunte Elblandschaft über das Blaue Wunder hinweg bis zum Turm der Kreuzkirche zu Füßen, in der seine musikalische Karriere als Kruzianer 1954 begann. Ob er die Aussicht genießt, ist allerdings nur seinem Blick anzusehen, denn der 1943 geborene Komponist, Dirigent und vielfältige Kulturmanager kann sich wegen einer seltenen Nervenkrankheit verbal nicht mehr äußern. Die Würdigung seiner kulturellen Verdienste kommt daher stellvertretend Zimmermanns dritter Frau Saskia zu, die ihren Mann hingebungsvoll zu Hause pflegt.
In seiner Heimatstadt erlebt demnächst – vorbehaltlich viraler Gnade – zum ersten Mal seit 1987 wieder Zimmermanns bekannteste Oper „Weiße Rose“ in ihrer Kammerfassung eine von bisher etwa 300 Produktionen weltweit. 1968 war die Urfassung geniestreichartig als Diplomarbeit an der Dresdner Musikhochschule entstanden und hatte den Grundstein für eine erfolgreiche Musikerkarriere in Ost wie West gelegt, die weder zu Zeiten der DDR noch danach irgendwelche Grenzen kannte. Man kann ihn damit ohne Umschweife als wichtigsten Wegbereiter der musikalischen Wiedervereinigung betrachten.
»Welche Kunst hätten Sie denn gern?«
Nach seinem Kompositions-, Dirigier- und Gesangsstudium legte sich Zimmermann recht schnell auf das Musiktheater fest. Neben seiner dramaturgischen Arbeit gründete er bereits mit Anfang dreißig sein Dresdner Neue-Musik-Studio, übernahm 1985 die Werkstatt für zeitgenössisches Musiktheater in Bonn und wurde 1990 zum neuen Intendanten der Oper Leipzig, die für ihre zahlreichen Uraufführungen mehrfach ausgezeichnet wurde. Parallel leitete er vierzehn Jahre lang die Neutöner-Reihe „musica viva“ des Bayerischen Rundfunks, scheiterte in den 2000er-Jahren am Konflikt mit Christian Thielemann an der Deutschen Oper Berlin und wurde 2004 schließlich Gründungsintendant des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau, das aus seinem dreißig Jahre zuvor ins Leben gerufenen Studio für Neue Musik hervorgegangen war.
„Udo hat sich bei all diesen kulturadministrativen Tätigkeiten immer als Künstler verstanden und auch für seine Komponistenkollegen eingesetzt“, sagt Saskia Zimmermann. Dies wurde dem Komponistenintendanten jedoch hin und wieder zum Verhängnis, weil er sich zwar äußerst umtriebig für die Förderung der zeitgenössischen Musik engagierte, dabei aber kaum Rücksicht auf Manageraufgaben nahm, etwa die Auslastung seiner Häuser als politisches Kriterium heutiger Legitimation vernachlässigte. „Wer außer ihm hätte es gewagt, einen Spielplan konsequent nach der Moderne auszurichten?“, fragte FAZ-Kritiker Wolfgang Sandner. Schon Anfang der Neunzigerjahre hatte Zimmermann in der gleichen Zeitung unter der Überschrift „Welche Kunst hätten Sie denn gern?“ das Dilemma der Kultur auf den Punkt gebracht, als er konstatierte, dass es gar nicht so sehr am Geld fehle, sondern vielmehr an Sachverstand und emotionaler Hingabe in der Kulturpolitik.
Trotz seiner starken kulturpolitischen Stimme waren die administrativen Tätigkeiten mehr als Ausweg denn als Herzensaufgabe zu sehen. „Udo hatte nie größere Angst als davor, ein leeres Notenblatt füllen zu sollen“, beschreibt Saskia Zimmermann das kompositorische Ausgebranntsein als Wurzel der Erkrankung einerseits und der Flucht in die Verwaltungsämter andererseits. Dass Udo Zimmermanns eindrucksvolle Werke auch im letzthin spürbar helleren Licht der Wiederentdeckung anderer DDR-Künstler weiter strahlen als seine Arbeit als Intendant, dessen ist seine Frau sicher. „Der Komponist wird bleiben.“