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Porträt Unsuk Chin

Lichträume, Farbenrausch

Das „neue werk“ porträtiert in zwei Konzerten die südkoreanische Komponistin Unsuk Chin

vonDirk Wieschollek,

Als Unsuk Chin 1985 in Hamburg eintraf, ahnte wohl am wenigsten sie selbst, einmal in Europa künstlerisch Fuß zu fassen. Der Lehrer, der die 24-jährige DAAD-Austauschstudentin aus Seoul an der Musikhochschule erwartete, begrüßte sie mit der charmanten Aufforderung, doch bitte alles wegzuwerfen, was sie mitgebracht hatte und zerriss einen Haufen serieller Plagiate in der Luft. Sein Name: György Ligeti. Chin schrieb drei Jahre keine Note mehr, und doch ist sie dem gnadenlosen Verfechter kompositorischer Individualität heute dankbar für dessen Lektionen. Mehr noch: Wie kaum ein anderer scheint Ligeti das Werk Unsuk Chins beeinflusst zu haben, was auch ihr kompositorisches Selbstverständnis nahe legt: „Wenn ich meine Musik beschreiben müsste, könnte ich vielleicht sagen, dass ich ein besonderes Faible habe für das Illusionäre, für das Phantastische und das Virtuose.“
 
Ihr ganz eigener Stil verschaffte ihr Aufträge
 
Inzwischen ist Unsuk Chin eine der gefragtesten Komponistinnen der Gegenwart, nicht zuletzt dank prominenter Förderer wie Kent Nagano. Er vermittelte Chin in schwieriger Zeit bedeutende Kompositionsaufträge und mit Alice in Wonderland (2007) ihre erste, vielbeachtete Oper für die Bayerische Staatsoper. Längst hat die Koreanerin ihre eigene Sprache zwischen Avantgarde und Postmoderne gefunden: „Ich glaube nicht, dass es einen Weg zurück zu Neoromantik, Neoklassizismus oder anderen Neoismen gibt, andererseits glaube ich auch nicht an das Konzept der Avantgarde. So viele Dinge, von denen wir glauben, wir hätten sie erfunden, existieren bereits – in der frühen europäischen wie in der nichteuropäischen Musik.“
Trotz ihrer Herkunft betrachtet sich die Wahl-Berlinerin nicht als „asiatische“ Komponistin, die auf der Suche nach ästhetischen Brückenschlägen zwischen den Kulturen explizit auf die Musik ihrer Heimat Bezug nimmt. Chins „kulturelle Identität“ ist von Strawinsky, Webern, Ligeti und Xenakis ebenso geprägt wie von balinesischer Gamelanmusik. Traditionsbindungen, die in der Regel als Anspielungen auf anderes in Erscheinung treten.
 
Musik aus Seidenpapier, Virtuosität am Klavier
 
Aber auch elektroakustische Transformationen von Instrumentalklang sind Teil der nach allen Seiten hin offenen Ästhetik von Unsuk Chin, die auf reichlich Erfahrung im Elektronischen Studio der TU Berlin zurückblicken kann. Dem Allegro ma non troppo (1994/98) liegen Klänge von Seidenpapier, Uhren, Wassertropfen und Perkusssion zu Grunde, die elektronisch manipuliert werden, um fließende Übergänge der Klangfarben zu ermöglichen. Gradum ad infinitum (1989) ist ein reines Tonbandstück, das polyrhythmische Strukturen von 8 Klavieren übereinanderschichtet – eine Hommage an die halsbrecherische Komplexität von Conlon Nancarrows Musik für Selbstspielklaviere. Das lustvolle Auskosten spieltechnischer Grenzerfahrungen offenbart sich in Chins Klavieretüden (1999/ 2003) dann am lebenden Objekt: Virtuosität als Ausdruck konstruktiver Phantasie.
Bei aller Vielfalt der Formen und Besetzungen sind es naturgemäß die großen Orchesterstücke, die Chins komplexe Farbmischungen besonders schillernd zum Leuchten bringen. Während die orchestrale „Illusionsmaschine“ von Rocaná („Lichtraum“ in Sanskrit) Lichtphänomene und Raumvorstellungen in eine irisierende „Klangskulptur“ verwandelt, setzt sich das Klavierkonzert (1996/97) janusköpfig mit der Motorik der virtuosen Klavierliteratur des Abendlandes auseinander. Lange Zeit hat Chin sich gescheut, traditionelle asiatische Instrumente in ihrer Musik zu verwenden, um jeglichen Anflug von Exotismus zu vermeiden. Das änderte sich mit der Begegnung des Sheng-Virtuosen Wu Wei. Das daraus resultierende Konzert für Chinesische Mundorgel und Orchester namens Su (2009) verschmilzt geräuschhafte Farbvaleurs, explosiven Orchesterzauber und Spuren koreanischer Hofmusik. Eine fulminante, teilweise bedrohliche Hybris, die Ligeti heute wohl vollste Bewunderung abverlangen würde.

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