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Porträt Vladimir Jurowski

Der stille Fädenzieher

Vladimir Jurowski ist kein Mann großer Gesten und lauter Worte. Viel zu sagen hat er dennoch

vonFriederike Holm,

Was als erstes an ihm auffällt, ist seine geradezu dämonische Aura. Ein Niccolo Paganini am Pult des 21. Jahrhunderts. Dunkle Augen unter dunkler Mähne. Jurowski verzieht keine Miene, kein Lächeln zeigt sich, wenn er seinen Applaus entgegen nimmt oder dem Pianisten nach Verklingen des Klavierkonzerts die Hand reicht. Doch anders als mancher erwarten würde, gibt er nicht den großen Zampano: Jurowski dirigiert mit präzisen, sehr wohl dosierten Gesten. Keine überschwänglichen Bewegungen – der Wahl-Berliner weiß durch ausdrucksstarke Gestik das Orchester zu leiten. Es sind kleine Bewegungen mit den Armen und Händen, die sich bis in die Fingerspitzen fortsetzen. Und: So unnahbar er auf der Bühne wirkt, so aufgeschlossen und verbindlich ist er im persönlichen Dialog – und zeigt sich als höchst eloquenter und reflektierter Gesprächspartner.

Nach der Konzertpause steht Schostakowitschs achte Sinfonie von 1944 auf dem Programm. Jurowski schickt die düstere Tondichtung mit solch erschütternder Intensität in den Saal, dass einem unwillkürlich der Gedanke kommt, russische Dirigenten hätten tatsächlich eine stärkere Verbindung zur Musik Schostakowitschs. Was in seinem Fall sogar nahe läge: Wuchs der kleine Vladimir doch in Moskau unter der musikalischen Ägide seines Papas Mikhail Jurowski auf, den eine enge Freundschaft mit dem sowjetischen Komponisten verband. Zudem war sein Vater sein erster Lehrer, bevor der Sohn zum Studieren ans Moskauer Konservatorium ging.

Der entscheidende Schritt: die Familie emigriert nach Deutschland

Lange sollte dieses Studium indes nicht währen, 1990 – Jurowski war gerade 18 Jahre alt – zog die Familie nach Deutschland. Der Dirigent erinnert sich: „In dieser schwierigen Zeit damals gingen ja viele in den Westen. Ich selbst wäre kurz darauf zum Wehrdienst eingezogen worden – und das zu einem Zeitpunkt, als russische Truppen in Afghanistan standen.“ Eine Emigration, die sich nicht nur für den Senior als richtige Entscheidung entpuppte, der Kapellmeister an der Semperoper in Dresden wurde, sondern auch dem Junior zu entscheidenden Schritten auf seinem musikalischen Weg verhalf: „Ich wurde an der Dresdner Musikhochschule aufgenommen, obwohl ich noch gar kein Deutsch konnte. Dort habe ich wichtige Impulse bekommen, etwa von Colin Davis.“

Später ging er nach Berlin, studierte bei Rolf Reuter und verdiente sich mit Mitte zwanzig die ersten Opernsporen als Kapellmeister an der Komischen Oper. Auch wenn er in dieser Saison für ein Konzert an eben dieses Haus an der Beringstraße zurückkehrt, ist er längst über das Stadium hinaus, sich auf ein Orchester oder Opernhaus festzulegen. So ist es fast müßig, all die bedeutenden Klangkörper aufzuzählen, denen er bereits den Einsatz gab, von den Wiener und Berliner Philharmonikern über das Concertgebouw Orchestra bis hin zu den „Big Five“ der USA. Und nicht minder prominent liest sich die Liste der Opernhäuser, an denen er gastierte.

Umso mehr erstaunt es da, dass der hochgewachsene Russe, der nahezu akzentfrei deutsch spricht, hierzulande noch wenig bekannt und medial kaum präsent ist. Andernorts, vor allem in England, ist er nämlich längst ein Star: Dort gab Jurowski bereits als 23-Jähriger sein Debüt in Covent Garden und war für zwölf Jahre Musikdirektor in Glyndebourne, Ort des bedeutendsten Opernfestivals der Monarchie. Zudem folgte er 2007 als Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra solch namhaften Kollegen wie Bernard Haitink, Georg Solti und Kurt Masur.

Sein Schlüssel zum Erfolg? „Tägliche Arbeit – und ständige Unzufriedenheit mit sich selbst. Man muss immer um das eigene Können und auch um das Noch-Nicht-Können wissen. Dann kann man den Frust über die eigene Unvollkommenheit in etwas Positives umwandeln, ohne den Glauben an sich zu verlieren“, sinniert der Dirigent. „Es gibt auch große Glücksmomente in meiner Arbeit, aber gerade wenn alles sehr erfolgreich und glatt läuft, suche ich ganz bewusst nach der Ursache für die nächste ,Krise’, um weiter zu kommen.“ Jurowski braucht einfach die Unzufriedenheit als Triebfeder seiner Arbeit.

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