Als sich 1993 in Dresden der „Neue Körnersche Sing-Verein“ gründete, war kaum abzusehen, welche Entwicklung das Ensemble mit der sperrigen Bezeichnung in den folgenden Jahren nehmen würde. Mag der Name damals mit einem Augenzwinkern gewählt worden sein, weil sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in des Dichtervaters Hause die erste bürgerliche Singvereinigung Dresdens zusammengefunden hatte, musste er wegen der amateurverdächtigen Assoziationen 2008 in Vocal Concert Dresden geändert werden – eine gute Entscheidung für CD-Labels, internationale Festivals und Konzertveranstalter.
Gleichwohl befasste sich der Chor von Anfang an intensiv mit eher unbekannten sächsischen Komponisten. Durch Erstaufführungen von spätbarocken und frühromantischen Werken der reichen Dresdner Musikgeschichte machte sich das Vocal Concert Dresden schnell einen Namen, wurde dadurch aber auch in die Spezialistenschublade gesteckt. „In den 90er Jahren war die Förderpolitik stark auf Neuentdeckungen orientiert“, erinnert sich Peter Kopp, Gründer und künstlerischer Leiter seit Beginn. „Inzwischen geht das Publikum weniger Risiken bei unbekannten Werken ein.“ Das Repertoire wurde in der Folge deutlich erweitert, zum Teil spezialisiert auf italienische barocke Meister wie Baldassare Galuppi. Bei mehreren Festkonzerten im Herbst beweist das Vocal Concert Dresden aber auch seine Tauglichkeit für Uraufführungen oder die klassische Moderne mit Schostakowitsch und Britten.
So vielfältig die Chorszene in Sachsen ist, so schwer haben es semiprofessionelle Ensembles, das Hobbyimage von Chormusik loszuwerden und zahlendes Publikum zu gewinnen, vor allem ohne nennenswerte öffentliche Förderung. „Ein Chor wie unserer lebt von seinen Mitgliedern und deren Selbstausbeutung“, weiß Peter Kopp, der seinen bis zu 38 Sängern eher symbolische Honorare bezahlt. „Sie wollen bei uns singen, weil sie unsere Philosophie des Musizierens teilen.“ Nachvollziehbar ist das leicht, denn die Dramaturgie des Chorleiters zeichnet sich durch Raffinesse und Stilsicherheit aus. Es wirkt wohl auch eine ungewöhnliche Aura des Ausdruckswillens, die die Auftritte des Vocal Concerts mit ungewöhnlichen Reizen versieht. Hier ist Chormusik kein Selbstzweck; das Publikum spürt, dass es gemeint ist. „Vielleicht ist es unser besonderes Markenzeichen, dass die Musik wirklich für den Hörer entsteht“, spekuliert Peter Kopp. „Mit den medialen Möglichkeiten, sich jederzeit mit Musik zu umgeben, vergrößert sich das Bedürfnis nach Authentizität, Identifikation und echter Empfindung.“
Hochgelobte CD-Aufnahmen
Bei seiner unermüdlichen Repertoiresuche stieß Peter Kopp zum Beispiel auch auf ein bisher unentdecktes Werk von Antonio Vivaldi – und nahm es prompt für die Deutsche Grammophon auf. Die Platte landete auf der Jahresbestenliste der New York Times. Programmatik und Stil der inzwischen zwölf Scheiben umfassenden Sammlung wurden als innovativ wahrgenommen und mit Preisen bedacht. In diesen Tagen erscheint die 13. CD mit den „schönsten deutschen Kirchenliedern“, so jedenfalls die Ankündigung beim Label.
Die öffentliche Aufmerksamkeit öffnete so manche Festivaltür, ob in Schleswig-Holstein, bei diversen Händel-Festspielen oder in Italien. „Eine besondere Erfahrung war unsere Reise nach Königsberg zum 400. Geburtstag von Johannes Eccard. Dort an historischer Stätte diesen Meister aufzuführen, gleich nahebei das Grab von Immanuel Kant – das sind Erlebnisse, die für den großen organisatorischen Aufwand entschädigen, den man zuweilen allein bewältigen muss.“ Es ist eben das Besondere, was Publikum und Sänger immer wieder zum Vocal Concert Dresden treibt, meint Peter Kopp: „Die Menschen wollen sich vom Alltäglichen entfernen, das finde ich sehr sympathisch.“