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Porträt Große Pianisten als Liedbegleiter

Vom Begleiter zum Partner

Ein schwieriges Verhältnis – über die Geschichte und Geschichten von Sängern und Pianisten

vonJürgen Kesting,

Im Titel seiner Erinnerungen „Bin ich zu laut?“ hat der Pianist Gerald Moore eine damals bittere Einsicht in Form einer Frage gekleidet. Und die Lektüre seines Buches verdeutlicht, wie lange der Brite und die Vertreter seiner Begleiter-Zunft von singenden oder geigenden Stars als deren Angestellte, als „Klavier-Dackel“ behandelt wurden. „Es schien mir Zeitverschwendung, einen Frack angezogen zu haben, denn der Künstler stand vor meiner Klaviatur, zwischen mir und den Zuschauern, und machte mich dadurch unsichtbar“, erinnert sich Moore an ein Konzert mit dem Geiger Josef Szigeti. „Und nachdem wir unsere Sonate gespielt hatten, nickte Szigeti, ohne zu lächeln, gnädig in meine Richtung – als ob er einen Kellner herbeirief –, womit er mir die Erlaubnis erteilte, aufzustehen und für den Applaus zu danken.“

Die Liedinterpreten brauchten mehr als nur „Klavier-Dackel“

Ja, lange Zeit gehörte der Mann am Klavier, so Moore, einer „niedrigeren Klasse an als der Solist“. Er war nicht Lied-Pianist, sondern nur „Begleiter“. Eine untergeordnete Stellung, die aus einer Zeit herrührte, in welcher Lieder noch nicht im großen Konzertsaal gesungen wurden, sondern in der „Kammer“ und in kleinen Räumen wie bei den „Schubertiaden“ – oder bisweilen auch bei Recitals von Stars wie Marcella Sembrich und Fjodor Schaljapin, die Lieder in ihre Programme einstreuten.

Es waren dann Sängerinnen wie Elena Gerhardt, Elisabeth Schumann und Lotte Lehmann, Sänger wie Karl Erb, Gerhard Hüsch und Heinrich Schlusnus, die eine eigenständige Karriere als Liedinterpreten verfolgten und dafür mehr als nur „Begleiter“ brauchten: nämlich Partner. Zu den ersten solcher Partner gehörte Moore, der bald zum „König unter den Begleitern“ (Dietrich Fischer-Dieskau) wurde. Mochte er auch nicht vom „pianistischen“ Ehrgeiz zu einer Solo-Karriere getrieben worden sein, so besaß er doch die virtuosen Fähigkeiten für die galoppierenden Fortissimo-Triolen des Erlkönig oder für das Nachspiel von Wolfs Ich hab’ in Penna.

Der Gegentypus solch virtuoser Partner waren Komponisten, die bei den (Ur-)Aufführungen ihrer Lieder am Flügel saßen und, wie Fischer-Dieskau schreibt, dilettierten wie Francis Poulenc bei dem Bariton Pierre Bernac – wobei dilettieren im höheren Kunstsinne zu verstehen ist. Alles andere als ein Dilettant war etwa ein Benjamin Britten als einzigartig inspirierender Partner von Peter Pears, insbesondere in den beiden Schubert-Zyklen. Und auch mancher Dirigent stellte sich hin und wieder in den Dienst hochgeschätzter Sänger wie Arthur Nikisch bei Elena Gerhardt, Wilhelm Furtwängler bei Elisabeth Schwarzkopf oder James Levine bei Jessye Norman. Als Dirigenten und Pianisten gleichermaßen geschätzt waren (und sind) Leonard Bernstein, Daniel Barenboim und Christoph Eschenbach, der in den letzten Jahren viel mit Matthias Goerne gearbeitet hat.

Vom Marketing-Hype zur langfristigen Partnerschaft

Solchen Partnerschaften war zumindest manchmal das Glück des Gelingens beschieden, wie die Aufnahmen von Swjatoslav Richter mit Fischer-Dieskau (Brahms’ Die schöne Magelone) oder Peter Schreier (Schuberts Die Winterreise) zeigten. Aber es waren und sind eben temporäre Partnerschaften, bei denen der Name der Pianisten wohl auch für die Star-Aufwertung von CD-Produktionen garantieren sollte. Viel bedeutsamer für die Emanzipation des „Begleiters“ waren indes jene ständigen Zusammenarbeiten zwischen Sängern und Pianisten, die für einen Qualitätssprung sorgten: etwa von Elly Ameling und Gundula Janowitz mit Irwin Gage oder von Misuko Shirai und Hartmut Höll. Und bei der legendären Aufnahme aller Schubert-Lieder des Labels Hyperion war gar der englische Pianist Graham Johnson der spiritus rector: Er entschied, welche Sänger für welche Lieder geeignet waren. Auf dem Geist solcher Partnerschaft, bei der die Rangordnung von Star und Begleiter aufgehoben ist, beruht nicht zuletzt auch der Erfolg eines der besten Duos unserer Tage: Christian Gerhaher und Gerold Huber.

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