Hat die Kultur den Anschluss an die Lebenswelt verloren? Haben Oper, Theater und klassisches Konzert sich von den gesellschaftlichen Diskursen entkoppelt und damit ihre Legitimation eingebüßt? Während die einen sich an die traditionellen Formen des Kunstgenusses klammern, haben die anderen längst die Bühne der sozialen Medien und der Politik für ihr eigenes Spektakel entdeckt und zeigen wenig Interesse, sich in das Publikum bürgerlicher Kulturinstitutionen einzureihen. Musikjournalist Axel Brüggemann spricht von einer „Zwei-Klassik-Gesellschaft“, in der die „sterbende Generation“ und die „letzte Generation“ aufeinandertreffen mit ihren diametral auseinanderdriftenden Haltungen gegenüber der Kultur. Diese verliere zunehmend den Rückhalt der Gesellschaft, lautet Brüggemanns ernüchternde Bestandsaufnahme.
Axel Brüggemann fordert zum Umdenken auf
Die Gründe dafür sind vielfältig: eine desaströse Musikausbildung in den Schulen; Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe in Theatern und Orchesterbetrieben, die mit dem Nimbus eines freien Künstlertums vertuscht oder kleingeredet werden; das Verschwinden einer unabhängigen professionellen Musikkritik; der Verlust politischer Relevanz durch das opportune Zusammenspiel von Politik und Kunst. Brüggemann hinterfragt auch das System der Musikförderung im deutschsprachigen Raum und eröffnet Perspektiven auf mögliche zukünftige Formen des digitalen Musikkonsums. Die Denkanstöße für seinen Essay entnimmt Brüggemann vor allem Interviews, die er mit Künstlerinnen und Künstlern für Zeitungen, Magazine und seinen Podcast „Alles klar, Klassik?“ geführt hat. Sein Blick auf die sich radikal wandelnde Klassikszene, um die es vielleicht nicht ganz so schlecht bestellt ist, wie dieses Buch uns nahelegt, fordert zum Umdenken auf.
Die Zwei-Klassik-Gesellschaft. Wie wir unsere Musikkultur retten
Axel Brüggemann
Frankfurter Allgemeine Buch, 248 Seiten
24 Euro