Sie war die Lehrerin des 20. Jahrhunderts: Nadia Boulanger hat Generationen in Musiktheorie, Komposition und Instrumentation unterrichtet. Zu ihren Schülern zählen Aaron Copland, Astor Piazzolla, Igor Markevitch, Grażyna Bacewicz, Krzysztof Meyer, Philip Glass und Quincy Jones. Berühmt ist das feine Gespür der Boulanger für die jeweilige künstlerische Persönlichkeit der jungen Talente. Ein Großteil des Unterrichts fand in ihrer Pariser Wohnung statt. Dort hat sie Ende der 1970er-Jahre, kurz vor ihrem Tod mit 92 Jahren, der Geiger und Filmemacher Bruno Monsaingeon mehrfach interviewt. So ist dieses Buch entstanden, eine lose Textsammlung, hochinteressant und sehr persönlich.
Die Boulanger beschreibt ihre Liebe zur Musik und wie sie tatsächlich in Tönen denkt. Die leidenschaftliche Lehrerin schildert ihre Prägungen, ihre Lehrtätigkeit und ihre ästhetischen Überzeugungen, alles bestimmt von einer großen Offenheit für Neues und frappierend modern. Boulanger erzählt von Debussy, Dukas, Ravel, Strawinsky, Enescu, Falla, Kodály, die sie alle noch persönlich kannte, aber auch von Xenakis und Boulez. Bewegend sind ihre Erinnerungen an ihre Schwester Lili Boulanger, früh zur Meisterschaft gelangt und allzu früh mit 24 Jahren gestorben, deren Kompositionen erst in unserer Zeit adäquat geschätzt werden. Ein Buch, das Einblicke in das Innenleben der Moderne gibt – und Einsichten über die Musik für die Ewigkeit. Wie diese: „Wenn der Interpret dominiert, läuft das Spiel falsch. Der Interpret gewinnt, aber das Werk verliert.“
Ich denke in Tönen. Gespräche mit Nadia Boulanger
Bruno Monsaingeon
Berenberg, 176 Seiten
28 Euro