Es gibt nicht wenige Stimmen, die behaupten, dass sie der Pianist Paul Lewis mit seinen zwar runden, aber letztlich die Extreme meidenden Beethoven-, Schubert– oder Haydn-Interpretationen nicht vom Stuhl gerissen habe. Nun legt der Brite, als eigenes Geschenk zu seinem 50. Geburtstag, eine Einspielung der späten Klavierwerke von Johannes Brahms vor – und zeigt ein ungemein tiefes Verständnis für diese Musik. Auch hier meidet er Effekte, die es auch nicht braucht. Doch diesmal flüstert er Geheimnisse aus, singt ariose Melodien der Melancholie, knurrt mit kräftiger Stimme und sattem Bass. Ob in Tempo oder Phrasierung, Lewis gelingt es, die Sammlungen von Klavierstücken op. 116 bis 119 mit ehrlicher Wärme, mit aufrichtiger Nähe zu durchdringen. Das Spätherbstliche dieser Musik, das Nebelhaft-Andeutende, die innere Beseeltheit, aber auch die heitereren Momente wie das „Grazioso e giocoso“ in op. 119: Den Geist jeder Note bringt Lewis auf den Punkt. Das liegt auch daran, dass er in Bereichen dynamischer Grauzonen sehr genau differenziert: Ein Piano kann mal etwas nachdrücklicher klingen, mal entsagender.
Brahms: Klavierstücke op. 116–119
Paul Lewis (Klavier)
harmonia mundi