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Buch-Rezension: Ulrich Tadday – Telemann

Sonderband zum 250. Todestag

Über Georg Philipp Telemann kann man ganz hervorragend diskutieren. Das beweist nicht zuletzt das Buch „Telemann und die urbanen Milieus der Aufklärung“

vonNicolas Furchert,

Ist er der „Vielschreiber“, als der er oft – abwertend – bezeichnet wird? Oder ist Georg Philipp Telemann einer der wichtigsten Komponisten des 18. Jahrhunderts? Diese Frage wird bis heute unterschiedlich beantwortet. So ist es nur begrüßenswert, dass neben dem Laaber-Verlag in der Reihe „Große Komponisten und ihre Zeit“ auch die nicht minder renommierte Reihe edition text+kritik Telemann zu seinem 250. Todestag einen Sonderband widmet.

Bei dem Titel „Telemann und die urbanen Milieus der Aufklärung“ handelt es sich um eine Sammlung von Aufsätzen, die sich weniger Telemanns Werken als den Besonderheiten der Umstände widmet, unter denen Telemann – vor allem als langjähriger Musikdirektor in Hamburg – wirkte. Die zehn Aufsätze sowie eine Art Einleitung führen zu einer breiten Diskussionsgrundlage.

Leben und Werk im Fokus

Herausragend erscheint Laurenz Lüttekens Kapitel mit dem sperrigen Titel „Vom ,unschuldigen Ungehorsam‘ der Einbildungskraft: Telemanns musikalisches Selbstverständnis.“ Doch hinter dieser fast kryptischen Überschrift verbirgt sich eine ebenso lesenswerte wie inhaltlich überzeugende Zusammenfassung von Telemanns Leben und Werk. Allein für diesen elfseitigen Aufsatz lohnt sich der Kauf des Buchs.

Weniger empfehlenswert ist Thierry Favier Untersuchung zu Telemanns französischen Subkribenten. Das sind jene Menschen, die eine Notenausgabe bestellen, bevor diese überhaupt gedruckt ist und somit die Herstellung erst ermöglichen. Heute nennt man dieses Verfahren neudeutsch „Crowdfunding“. Was nach einem interessanten Aspekt der Rezeptionsgeschichte von Telemanns Werk klingt, verliert sich jedoch in eine langatmige Einordnung immer neuer Personen, die sich in Frankreich für Telemann interessierten, bis hin zu einem 30-seitigen (!) Anhang.

Telemann in Hamburg

Alle übrigen Texte bewegen sich dazwischen. Susan Richter befasst sich in „Freiheit und esprit de modération“ durchaus interessant, wenn auch bisweilen etwas theorie-überlastet mit Telemanns Wirken in einer Stadt mit überaus selbstbewusstem Bürgertum und mit der Frage, wie er der Aufgabe, das Bürgertum in sein Wirken einzubeziehen, nachkam.

Samantha Owens klärt darüber auf, dass die in der Musikgeschichtsschreibung oft erwähnte Oper am Gänsemarkt ihren Ruhm eigentlich teilen muss. Meist gefeiert als erstes bürgerliches Opernhaus in Deutschland, herrschte ein reger Austausch mit der Oper in Braunschweig. Dieser Aspekt wird in der Literatur meist unterschlagen, und es ist daher lobenswert, dass dies hier einmal klargestellt wird. Manche Aspekte dieses Austauschs hätten allerdings weniger detailreich erklärt werden können, ebenso wie Louis Delpechs Untersuchung zum Einfluss französischer Opern in Hamburg.

Kantaten und Quartette

Ute Poetzsch versucht unter „Opernsänger in der Kirche“ eine Einordnung der Kantaten aus Telemanns Sammelband „Harmonischer Gottesdienst“ in ihren Wirkungskreis. Dieser finde sich in der häuslichen (nicht der kirchlichen) Andacht. Mindestens ebenso aufschlussreich sind die fast nebenbei erwähnten Details des Musikeralltags im 18. Jahrhundert.

Den Einfluss französischer und italienischer Musik in Telemanns Werk untersucht Matteo Giuggioli anhand der sogenannten Hamburger und Pariser Quartette, die als „Quadi“ und „Nouveaux quatuors“ 1730 bzw. 1738 erschienen. Auch wenn sicher nicht jeder diese Werke aus dem Gedächtnis abrufen kann, erscheint die Auswahl sinnvoll, ist es doch gerade das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Stilen, die die Musik des Spätbarock, insbesondere aber das Werk Telemanns prägt.

Unterschiede beleben

Als Abschluss fasst Martin Geck kenntnisreich die unterschiedliche Wahrnehmung Bachs und Telemanns im Rahmen der zeitgenössischen Musikkritik zusammen.

Insgesamt bietet das Buch viele neue und interessante Aspekte der aktuellen Telemannforschung. Die inhaltlichen Schwerpunkte fallen dabei ebenso unterschiedlich aus wie der sprachliche Stil. Auch wenn nicht jedes Kapitel jeden Leser ansprechen dürfte, stellt es eine Kaufempfehlung dar – in Bezug auf Telemann, aber auch allgemein für Liebhaber von Barockmusik.

Telemann und die urbanen Milieus der Aufklärung
Ulrich Tadday (Hrsg.)
233 Seiten
Edition text+kritik

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