Was die Besucher der Leipziger Thomaskirche am Karfreitag 1727 gefühlt haben, als ihnen Kantor Johann Sebastian Bach seine neue Passion nach Worten des Evangelisten Matthäus präsentierte, ist nicht überliefert. Angesichts des enormen Apparats an Musikern, bestehend aus zwei Orchestern, zwei Chören und einem halben Dutzend Solisten (kurzum: allem, was Bach zur Verfügung stand), dürfte „beeindruckt“ eine plausible Reaktion gewesen sein. Da mag es aus heutiger Sicht verwundern, dass das Meisterwerk zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten war und trotz der Wiederentdeckung durch Felix Mendelssohn erst 1912 vollständig erklang. Die versierten Bach-Deuter der Gaechinger Cantorey bringen den „Mount Everest der Musik“, wie Regisseur Peter Sellars das Werk einmal nannte, nun in Ludwigsburg zu Gehör. Die Rolle des Evangelisten übernimmt der britische Tenor Guy Cutting, der in den letzten Jahren durch Zusammenarbeiten mit renommierten Alte-Musik-Ensembles auf sich aufmerksam gemacht hat.
Jan Maier