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200. Geburtstag von Anton Bruckner

Genie zwischen Geselchtem und Geistlichkeit

Elf monumentale Sinfonien hinterließ der Österreicher Anton Bruckner – heute wird sein 200. Geburtstag gefeiert.

vonChristian Schmidt,

Nein, dass Anton Bruckner eine leichte Kindheit gehabt hätte, kann man wirklich nicht behaupten. Als heute vor zweihundert Jahren im Tausendseelendorf Ansfelden bei Linz der Lehrerfamilie des Anton Bruckner senior der erste Sohn geboren wurde, gehörte der Beruf zwar der gebildeten Oberschicht an, wurde aber – im Unterschied zum Pfarrer – äußerst karg entlohnt. Entsprechend ärmlich gestaltete sich das Familienleben. Mutter Theresia bekam noch zehn weitere Kinder, von denen Anton junior sechs sterben sah, lange bevor sie das Erwachsenenalter erreichten, teilweise sogar am Tag ihrer Geburt.

Im Dorfmilieu, in dem der Vater als Landschulmeister auch musikalisch zu unterrichten hatte, musste der Knabe denn auch schon früh als Hilfsorganist und Tanzbodengeiger aushelfen. Als er noch nicht einmal dreizehn Jahre alt war, starb auch der Vater an der damals üblichen Lehrerkrankheit Tuberkulose, und Anton wurde als Sängerknabe ins nahe Stift Sankt Florian geschickt. Trotz umfassender musischer Bildung und unbestrittener Meisterschaft auf der Orgel wollte er zunächst pietätvoll als Lehrer in die Fußstapfen seines Vaters treten. Zugleich fing er schon an, geistliche Chormusik zu komponieren – stilistisch aber noch weit entfernt von seinem sinfonischen Spätwerk.

Im Linzer Stift Sankt Florian war Bruckner Chorknabe und Organist
Im Linzer Stift Sankt Florian war Bruckner Chorknabe und Organist

Es mag abseitig klingen, aber dass Bruckners Leibspeise zeitlebens Geselchtes mit Grießknödel und Sauerkraut blieb, erklärt vielleicht symptomatisch den späten Zeitpunkt seiner Wendung zum Berufsmusiker, dass nämlich eine von Askese und übertriebener Devotion bestimmte Biografie das wahre musische Ich des schon früh bewunderten Organisten und Improvisationskünstlers lange verschleiern konnte.

Allzu bescheiden bis an die Grenze der Selbstaufgabe, stets unsicher und wohl auch nie zurückgeliebt, steigerte sich Anton Bruckners innere Unruhe bis an die Grenze zum Wahnsinn und ließ ihn bei jeder seiner Karrierestufen – die vom Linzer Domorganisten bis zum Professor am Wiener Konservatorium durchaus prominent ausfielen – immer eine Rückfallebene einbauen.

Anton Bruckner: ein spät berufenes Musikgenie

Die neuere Psychologie würde dem sehr spät berufenen Musikgenie wahrscheinlich einen handfesten Komplex diagnostizieren, der sich auch eher verschlimmerte, als Bruckner in Wien zunächst hofiert, später von den Musikkritikern rund um den gefürchteten Eduard Hanslick als vermeintlicher Wagner-Epigone verschmäht wurde und drohte, im Streit zwischen „Neudeutschen“ und Traditionalisten zerrieben zu werden. Dabei sind all seine Widmungen und Huldigungen wenig mehr als Ausdruck seiner Unterwürfigkeit, die teils schon komische Züge annahm und ihn mehr oder minder zu einem wohl auch verspotteten Sonderling machte.

Erst mit 43, als andere Kollegen schon längst das Zeitliche gesegnet hatten, wagte sich Anton Bruckner an die seit Beethoven totgesagte Sinfonie, die auch der Wahlwiener Kollege Brahms lange mied. Und tatsächlich erreichten auch diese elf Monumentalwerke – eines davon verworfen, ein anderes immerhin als „Nullte“ gewürdigt, die „vollwertigen“ anderen neun Sinfonien ständigen und mehrmaligen Revisionen unterworfen – erst im 20. Jahrhundert die heute verdiente Anerkennung: als es nämlich nicht mehr als epigonal galt, sich auf Bruckner zu berufen, sondern stattdessen auf Mahler oder seine Nachfolger der Zweiten Wiener Schule. Dabei ist letztere Entwicklung ohne Bruckners Genius aus heutiger Sicht wohl kaum zu denken.

Gleichwohl: Um seine Musik heute zu erfassen, muss man abseits der biografischen Spezifikationen nicht zuletzt Einsicht in das religiöse Ethos des zutiefst gläubigen Menschensohnes gewinnen – die letzte Sinfonie widmete Anton Bruckner niemand Geringerem als Gott selbst. Damit schloss sich auch der Kreis zu seinen frühen geistlichen Chorwerken. Erst am Ende hatte der zum Komponisten gereifte einstige Unterlehrer die Gewissheit erlangt: „Non confundar in aeternum“ – ich werde nicht verworfen in alle Ewigkeit.











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