Auch in der Operette gab es bis 1933 eine Avantgarde. Diese dauerte aber nur knapp fünf Jahre, bis die Nationalsozialisten dem tollen Jazz-Treiben in „Viktoria und ihr Husar“, „Die Blume von Hawaii“ und „Ball im Savoy“ ein brüskes Ende bereiteten. Während Paul Abrahams Karriere-Epilog in Wien und Budapest entstanden seine jüngst wiederentdeckten Operetten „Märchen im Grand Hotel“ und „Roxy und ihr Wunderteam“. Dann begann seine beklemmende zweite Lebenshälfte. Langfristige Klinik-Internierungen in der amerikanischen Psychiatrie wegen Spätfolgen einer Syphilis, die Rückkehr nach Deutschland auf Initiative eines Komitees und schließlich der Krebstod in Hamburg-Eppendorf.
Auf den ersten 80 Seiten ist Klaus Waller voll beschäftigt, Abrahams wahres Leben hinter dessen mondänen Fantasien zu entschleiern. Nebenbei räumt der Autor mit Vorurteilen auf. Zum Beispiel stellt er richtig, dass Abraham aufgrund der in seine Aufführungskarriere an europäischen Theatern investierten Summen längst nicht so reich war wie oft behauptet. Im Anhang kommen wichtige Apologeten der aktuellen Abraham-Renaissance zu Wort: Barrie Kosky, der an der Komischen Oper Berlin einer jungen Operetten-Rezeption Schwung und Freigeist injizierte, sowie Henning Hagedorn, der mit aufführungspraktisch angelegten Editionen ermöglichte, dass Abrahams Operetten in jener klanglichen Vielfalt und Freiheit der Arrangements erklingen können, die dem Komponisten vorschwebten. Die informationsreiche und bestens lesbare Biografie erinnert überdies an Abrahams rasante Schlager für den frühen deutschen Tonfilm.