Agrippina, Norma, Brünnhilde, Carmen, Lulu – an charakterstarken Frauenfiguren fehlt es nicht in der Operngeschichte. Mal sind sie aktiver, mal passiver, mal intrigant, mal tugendhaft, mal rachsüchtig, aber stets facettenreich. 31 von ihnen hat Wolfgang Seidel in seinem unkonventionellen Opernführer „Die Braut des Holländers – Berühmte Frauengestalten in der Oper“ unter die Lupe genommen.
Wer dabei eine musikwissenschaftlich fundierte Abhandlung zum Frauenbild-Diskurs im Musiktheater der letzten Jahrhunderte erwartet, liegt hier jedoch falsch: Das Buch setzt keinerlei Kenntnisse voraus, ist also für Operneinsteiger und -neulinge besonders geeignet. So wird im Vorwort zunächst das Phänomen Oper ganz allgemein und grundlegend erklärt, bevor es in die alphabetisch nach Protagonistinnennamen sortierten Kapitel geht. Die Auswahl der Opern beschränkt sich auf die üblichen Hauptwerke des Kanons.
Übers Ziel hinaus
Jedes Kapitel beginnt mit einer sehr lebhaften Zusammenfassung der jeweiligen Opernhandlung, gefolgt von einer – mal mehr, mal weniger ausführlichen – Charakterisierung der zugehörigen Frauenfigur. Kleinere Dreingaben von Hintergrundinformationen zu den Werken, außergewöhnliche Aktualitätsbezüge (etwa Vergleiche zwischen Dido und Merkel, Scarpia und Weinstein, Elektra und Hitler) sowie Kommentare des Autors umrahmen das Ganze.
Wolfgang Seidel bedient sich dabei einer gewollt lockeren, bewusst saloppen Sprache, die dem „verstaubten“ Opernstoff gerade für Anfänger einen modernen, gar coolen Anstrich verpassen soll. Das unterhält ungemein und vereinfacht den Zugang, schießt allerdings auch hin und wieder (zwar absichtlich, mit Ironie und sicher nicht böse gemeint, aber fern von jeglicher Political Correctness) übers Ziel hinaus: Vor allem in den zusammenfassenden, boulevardesk formulierten Sublines der Kapitel sorgt es bei manchem Laien sicher für Belustigung und Neugier, bei einigen Liebhabern (und Feministinnen) wohl auch für Empörung, wenn die Königin der Nacht als „machtgierige Bitch“, Verdis Violetta aus „La Traviata“ als „schwerkrankes Flittchen“ und Richard Strauss’ Salome schließlich als „die größte Schlampe der Opernbühne“ bezeichnet wird.
Insgesamt werden zwar Frauen- wie Männerfiguren gleichermaßen hochgenommen, dennoch kann jene Art von humoristischer Darstellung in heutiger Zeit hin und wieder gefährlich werden. Nichtsdestotrotz eröffnet das Buch insgesamt einen neuartigen, erfrischenden Einblick in die alte Opernwelt und tut dabei vor allem eins: unterhalten.