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Opern-Feuilleton: Fokus Literaturoper

Doppelte Meisterwerke

Große Komponisten wie Debussy, Berg und Strauss, Henze, Reimann und Kurtág haben etwas gemeinsam: Sie setzten auf den Sonderfall der Literaturoper.

vonPeter Krause,

Wie es sich für einen französischen Intellektuellen gehört, geht Claude Debussy abends aus und besucht ein Theaterstück: Eine echte Novität steht anno 1893 in Paris auf dem Programm, „Pelléas et Mélisande“ des belgischen Dramatikers Maurice Maeterlinck. Debussy ist hingerissen. Was der Komponist in und zwischen den Zeilen liest, überwältigt ihn. „Ich habe also nach Musik gesucht hinter all den Schleiern“, bekennt Debussy, der nun dem Drama der Andeutungen mit seiner Musik nachspüren möchte, um dem traumtrunkenen Liebespaar ein Denkmal zu setzen.

Ein tollkühner Entschluss: Denn bis auf ein paar Streichungen vertont er das Drama in Gänze, der Text wird gerade nicht mit operngerechten Formen von Arien oder Liedern der eigenen Gattung angepasst. Einen Librettisten gibt es nicht. Die Uraufführung am 30. April 1902 an der Pariser Opéra-Comique ist zwar kein Sensationserfolg, doch gilt der Tag als Geburtsstunde der Literaturoper.

Mit expressionistisch avancierten Mitteln gewürzt

Weltliteratur war freilich schon zuvor immer wieder zur Grundlage von Opern geworden: Allein Giuseppe Verdi nutzte Shakespeare und Schiller, Alexandre Dumas, Lord Byron und Victor Hugo als Vorlagen, dabei allerdings allein deren bekannte Stoffe. Opernerfahrene Librettisten transformierten die Texte für das Musiktheater und dessen spezifische Erfordernisse. Der gesungene Text hatte sich der Macht der Musik unterzuordnen. Ganz anders in der im Fin de Siècle geborenen Sonderform des Musiktheaters: Hier basiert das Libretto auf einem präexistenten literarischen Text, dessen spezifische Struktur direkt in die Opernpartitur eingeht und dabei als solche für das belesene Publikum erkennbar bleibt.

Eben diesen Weg beschreitet kurz darauf auch Richard Strauss mit seinen Einaktern „Salome“ nach Oscar Wilde sowie „Elektra“ nach Hugo von Hofmannsthal. Ganz ähnlich die Genese von Alban Bergs „Wozzeck“: Der Komponist sieht 1914 Georg Büchners Fragment „Woyzeck“ auf der Bühne. Aus dem revolutionären Schauspiel wird durch die Musik eine Oper des sozialen Mitleids. Dennoch schreibt Berg Musik über Literatur, die er gleichzeitig mit seinen expressionistisch avancierten Mitteln würzt. Seine Oper wird nicht nur als musikalisches Meisterwerk der Moderne wahrgenommen, sondern ebenso intensiv von der Literaturwissenschaft, die sie als zentralen Teil einer produktiven Rezeptionsgeschichte des Büchner-Dramas auffasst.

Entgegen der totalen Verschmelzung

Der originale Text einer Literatur­oper bewahrt sich seine Autonomie, geht nicht vollends in der Musik auf. Im Gegensatz zu Wagners Ideal einer möglichst totalen Verschmelzung aller Elemente bleiben Text, Musik und Inszenierung in der Literaturoper unterscheidbar. Bertolt Brechts Ideale des epischen Theaters scheinen darin vorweggenommen. Die Faszination für diesen Sonderfall hält an: Benjamin Britten, Hans Werner Henze, Aribert Reimann, Detlev Glanert und Györ­gy Kurtág setzen auf die Literaturoper.

Ihre wohlklingenden Titel, die ein schnelles Wiedererkennen garantieren, sind ein ewiges Erfolgsversprechen. Ob auch die Macht des Marketings eine Rolle bei der Vergabe von entsprechenden Kompositionsaufträgen spielt? Keine Frage: Die Literaturoper generiert Aufmerksamkeit. Sie hat aber auch eine famose Fülle von „doppelten“ Meisterwerken hervorgebracht.

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