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Interview Golda Schultz

„Wenn wir aufhören Fragen zu stellen, haben wir keine Kunst mehr“

Golda Schultz über die Schönheit stundenlanger Autofahrten, die weibliche Perspektive auf die Musik und ihre ideale Vorstellung einer Opernheldin.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Sie studierten Journalismus und haben auch als solche gearbeitet. Von Kollegin zu Kollegin: Welche Frage würden Sie als erstes stellen, wenn Sie jemanden interviewen würden?

Golda Schultz: Oh! Es hängt immer davon ab, um welches Thema es geht. Die erste Frage, die ich meistens gestellt habe, war: „Welche ist deine Lieblingserinnerung aus deiner Kindheit?“

Eine gute Frage, die ich zurückgebe. Sie wuchsen in Südafrika in Bophuthatswana und Bloemfontein auf.

Schultz: Meine schönste Erinnerung waren die Reisen mit meinen Eltern im Auto, auf denen wir Musik hörten. Ich habe immer den Takt dazu geschlagen und dann haben wir alle gemeinsam gesungen auf den langen Fahrten. Klassiker und auch neuere Songs. Wir waren meist zwanzig Stunden im Auto unterwegs, um unsere Familie zu besuchen, und dann brauchte man doch auch etwas Entertainment. So habe ich auch viel über meine Eltern erfahren, meine Mutter war Krankenschwester, mein Vater Mathematiker.

Vom Vater die Statur, von der Mutter die Natur heißt es bei Goethe…

Schultz: Oh, das ist ein interessanter Gedanke. Ich glaube, ich habe eine gute Mischung meiner Eltern mitbekommen. Ich bin Einzelkind und dazu noch ein Mädchen. Interessanterweise sagte meine Mutter immer zu mir, dass sie beide mich aufziehen würden „wie einen Mann“. Sprich: „Du musst stark sein, du musst selbstbewusst sein, du musst Selbstvertrauen haben. Wir wollen, dass du so viel vom Leben bekommst wie ein Mann, wie dein Vater.“ Von meiner Mutter habe ich auch die Emotionalität, die Empfindsamkeit, andernfalls wäre ich wohl keine Opernsängerin geworden.

Haben Sie auch eine analytisch-mathematische Seite?

Schultz: Mathematiker sehen meist Patterns und stellen sich die Frage, was folgt. Und auch in der Musik ist es so. Man muss sich die Frage stellen: Was folgt – zumindest harmonisch gesprochen. Deshalb glaube ich schon, dass Mathematiker einen besonderen Zugang zur Musik haben. Mein Vater hat ohnehin gerne Musik gehört.

Kommen wir zu Ihrem neuen Album „This Be Her Verse“ mit Liedkompositionen verschiedener Komponistinnen. Sie sprechen von einer spezifisch „weiblichen Perspektive“ auf die Musik. Was ist das, was meinen Sie damit?

Schultz: So, wie Sie die Frage stellen, stelle ich sie mir auch selbst: Was ist die weibliche Perspektive? „Was wäre, wenn?“ Mich interessiert, wie die verschiedenen Komponistinnen die Poesie verstanden und vertont haben. Ich möchte damit nur sagen: Es gibt eine große Welt der Musik, die nicht nur männlich ist, und wir sollten uns darum kümmern, andere Perspektiven zu erkennen, auch, wenn die beiden Perspektiven übereinstimmen könnten. Als wir Emilie Mayer einstudiert haben, sagte mein Begleiter Jonathan Ware: „Die Musik ist okay, aber ich glaube nicht, dass sie besser als Schubert ist.“ Und ich selbst habe mich dann gefragt: „Wenn sie so gut wie Schubert ist, warum spielt man sie nicht mehr?“ Bei der Recherche erfuhr ich, dass die Musik von Emilie Mayer zu ihrer Zeit so berühmt und erfolgreich war wie die Musik von Beethoven. Doch mit ihrem Tod ist auch ihr Werk verschwunden. Ich glaube, dass die Frage sehr einfach ist, aber die Antworten sind kompliziert, weil wir so unterschiedliche Meinungen haben. Aber mich zu fragen, warum Frauen wichtig sind …

… Nein, nein das habe ich so nicht gefragt. Musik ist gleichberechtigt, egal, ob von einem Mann oder einer Frau komponiert. Doch nochmal: Was meinen Sie mit „weiblicher Perspektive“? Anders gefragt: Kann Musik überhaupt, als Organisation schwingender Luftmoleküle und damit höchst abstrakt, ein Geschlecht haben?

Schultz: Nun, grammatikalisch hat Musik ja schon ein Geschlecht. Es heißt ja die Musik.

Touché! Super Antwort!

 (Lachen)

Ich ahne, gegen was Sie sich wenden. Robert Schumann schrieb: „Dur ist das handelnde männliche Prinzip, Moll das leidende weibliche“. Eine solche Formulierung ist heute natürlich nicht mehr akzeptabel.

Schultz: Oh, diese Formulierung kannte ich gar nicht. Das Projekt existiert, weil ich mir selbst die Frage stelle: „Was wäre, wenn?“. Und auch ich habe keine Antwort. Ich bin keine Expertin weiblicher Stimmen. Ich finde nur, dass diese Frage gestellt werden muss. Mein Job ist es, künstlerische Fragen zu stellen, was ich als Künstlerin für die Interpretation dieses Liedes oder dieser Opernrolle einbringe. Ich bewege mich in dem dramatischen Dreieck: Komponist(in), Komposition und Darstellung. Und muss dort meinen Ort finden. Meine Frage bleibt: Wie wäre es, wenn alle drei Frauen wären? Würde das etwas ändern in diesem Dreieck? Würde man etwas anderes hören und verstehen?

Im Booklet der CD kommen Sie mit einem Statement zu Wort, aber bedauerlicherweise gibt es keine einzige Biografie der Komponistinnen. Hatte das einen Grund?

Schultz: Der Grund ist: Papier kostet Geld. Die CD stellt keine musikwissenschaftliche Recherche dar, sondern ist ein passion-Projekt. Gedichte lesen und die Musik zu hören: Das war unser Ziel. So bekam ich auch den Zugang zur Musik. Ich habe anfangs der Musik gelauscht und nicht Noten gelesen. Ich habe Gedichte gelesen und selbst dann Dinge entdeckt. Das ist für mich immer das Schönste. Meine CD soll Neugierde entfachen, der Start von etwas sein und nicht das Ende. Ich bekomme fast jede Woche Emails von Frauen, die mir Musik schicken, damit ich sie aufführe. Aber nochmal zurück zur „weiblichen Perspektive“: Ich fühle mich wie eine Schatzsucherin, und alles, was ich finde, ist auch ein Schatz.

Frauen leiden und sterben weitaus häufiger als Männer in den Opern, besonders in jenen des 19. Jahrhunderts. Wie sieht für Sie die ideale Opernheldin aus?

Schultz: Nummer eins: Sie sollte nicht sterben und kein Mann sollte sie angreifen. Die beste Opernheldin ist für mich immer auch eine Komödiantin.

Und der ideale Opernheld?

Schultz: Sein Part wurde schon geschrieben: Nemorino aus „L’elisir d’amore“ von Gaetano Donizetti.

Auch eine Opera buffa.

Schultz: Ja. So viele Leute sagen, er sei ein Dummkopf, ein einfacher Bauer, hoffnungslos in Adina verliebt. Ich finde nicht, dass er ein Dummkopf ist. Ja, er ist naiv, aber er ist voller Liebe, voller Leidenschaft, und er hat so viel Geduld und will Adina entscheiden lassen. Sie soll das tun, was sie will – absolut das Gegenteil von all den anderen Opernhelden.

Unter dem Motto „Diversity“ findet nun das Lucerne Festival statt. Sie werden die Rolle der Clara singen in Gershwins „Porgy and Bess“. Sehr mutig ist das nicht bei einer Oper, die ohnehin nur mit schwarzen Sängern besetzt werden darf.

Schultz: Diversität hat für mich viele Facetten. „Porgy and Bess“ hat stilistisch eine sehr große musikalische Diversität, die von der Klassik bis hin zum Jazz reicht. Ich freue mich sehr auf diese Rolle, die ich bereits an der Met gesungen habe. Das ist einfach eine sehr schöne Musik, das Werk gehört in den Bildungskanon wie die Mozart-Opern oder Bizets „Carmen“. Außerdem darf das Festival „Porgy and Bess“ gar nicht mit weißen Sängern aufführen, denn dazu bräuchte es eine Sondergenehmigung der Gershwin Erben.

Von Kollegin zu Kollegin: Möchten Sie mir vielleicht eine Frage stellen?

Schultz: Ja. Sind Sie immer zufrieden mit den Antworten, die man Ihnen gibt?

Nicht immer, aber auch ich bin auf der Suche nach einer Antwort, von der auch ich weiß, dass sie nur selten endgültig sein kann.

Schultz: Dann haben wir etwas gemeinsam. Wenn wir aufhören Fragen zu stellen, haben wir keine Kunst mehr.

CD-Tipp

Album Cover für This Be Her Verse

This Be Her Verse

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