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Blind gehört Julia Fischer

„Das ist mein Lieblingsgeiger!“

Geigerin Julia Fischer hört und kommentiert Aufnahmen von Kollegen, ohne dass sie weiß, wer spielt.

vonChristian Schmidt,

Der Ehrgeiz ist Julia Fischer schon seit frühen Tagen eingeschrieben, als die heute Vierzigjährige als Wunderkind Karriere machte. Auch im Interview spürt man die fast schon musterschülerhaften Ambitionen der Geigerin, die zu den besten ihrer Generation zählt und mit 23 Jahren als Professorin an die Frankfurter Musikhochschule berufen wurde: Fast immer erkennt Julia Fischer das blind vorgespielte Werk, und meistens dauert es gar nicht lange, bis sie auch die Interpreten mindestens erahnt. „Das muss ich doch wohl wissen!“, ruft sie dann, und auf die Frage, ob sie ihren Kindern eine strenge Lehrerin sei, antwortet sie lieber nur mit einem wissenden Lächeln. Spaß hat sie gleichwohl viel beim Zuhören und tut das, was sie auch beim Geige- oder Klavierspiel auszeichnet: sich ganz hineinversenken.

Debussy: La fille aux cheveux de lin

David Garret, Orchestra The Prezent
Deutsche Grammophon 2023

David Garrett erkennt man immer sofort am schnellen, engen Vibrato. Jeder Ton ist sehr intensiv, das hatte er schon als Kind. Ich habe Verständnis dafür, wenn man mit dieser Art des Musizierens Publikum generiert, aber ich glaube nicht daran, dass man damit auch nur einen einzigen an die Klassik heranführt und für, sagen wir, ein Streichquartettkonzert begeistert, was ja diese Crossover-Projekte immer suggerieren. Er hat Erfolg damit, das ist absolut okay. Es gibt keinen Grund, Leute zu verurteilen, die das schön finden. Ich finde allerdings auch, dass dieses Kitschzeug für die Geige nicht passt. Klar kann man Sachen bearbeiten, aber ich glaube, dass die Komponisten schon genau wussten, warum sie was für welche Instrumente geschrieben haben. Als Pianistin halte ich es zum Beispiel bei Chopin für ganz schlimm, wenn seinen Nocturnes der Klavierklang genommen wird.

Schubert: Forellenquintett

Anne-Sophie Mutter, Lee Hwayoon, Maximilian Hornung, Roman Patkolo, Daniil Trifonov
Deutsche Grammophon 2016

Das könnte Anne-Sophie Mutter sein. Prinzipiell erkennt man jeden Geiger am Vibrato, weil es etwas so Persönliches, Unverwechselbares hat. Man kann das auch nicht unterrichten. Geschwindigkeit, Amplitude und Wandelbarkeit ist dabei immer sehr individuell. Anne-Sophie Mutters Geigenton ist absolut packend und geht direkt ins Herz.

Auerbach: 24 Präludien für Violine und Klavier

Vadim Gluzman, Angela Yoffe (Klavier)
BIS Records 2003

Das Stück kenne ich nicht. Enescu? Wer auch immer da spielt – er hat ein fantastisches Pizzicato. Das ist ja nicht so meine Stärke, es wird auch nicht so oft verlangt. Die Musik ist gut! Vadim Gluzman hätte ich nicht erkennen können, ich kenne ihn nicht so gut. Aber die Noten muss ich mir besorgen. Ich finde, dass man die Musik der Jetztzeit spielen sollte, sowohl aus Neugier als auch aus Verantwortungsgefühl.

Beethoven: Violinsonate Nr. 7 c-Moll op. 30/2

Leonidas Kavakos, Enrico Pace (Klavier)
Decca 2012

Wenn ich Beethoven nicht erkennen würde, wäre das ja wohl peinlich! Der Pianist ist großartig. Interpretatorisch ist mir das aber deutlich zu sportlich. Definitiv nicht langweilig, die Schule kenne ich nicht, das muss außergewöhnlich sein, wahrscheinlich Kavakos. Er hat Geige ganz anders gelernt als ich. Wenn ich ihn als Pädagogin untersuchen würde, macht er alles anders, als man es hier lernt, die Bogenhaltung ist anders, die Geigenhaltung ist anders. Aber es funktioniert ja, insofern kann man das nicht kritisieren. In meiner Generation haben sich die verschiedenen Geigenschulen ja schon sehr aneinander angenähert, weil jeder überall studiert hat. Eine Generation vorher waren die Unterschiede, etwa zwischen Amerika und Sowjetunion, noch sehr prägend, was Haltung und Tongebung betrifft. Heute schlägt da die Globalisierung zu.

Lalo: Symphonie espagnole

Renaud Capuçon, Orchestre de Paris, Paavo Järvi (Ltg)
Erato 2016

Lalo, klar. Mir gefällt das sehr gut, was ich daran festmache, ob die Musik zu mir spricht oder nicht. Renaud ist ein absoluter Vollblutmusiker, bei dem man geigerisch Fragen stellen kann, aber seine Interpretationen packen mich immer.

Respighi:Poema autunnale

Julia Fischer, Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo, Y. Kreizberg (Ltg)
Decca 2011

Das bin ich wohl selber! ­Respighi ist ein tragisch unterschätzter Meister, was wohl an seiner Nationalität liegt. Dem Erfolg von Schostakowitsch oder Prokofjew im 20. Jahrhundert liegt ja zugrunde, dass sie einfach sehr gute einheimische Interpreten hatten, die ihre Werke auch im Ausland bekannt gemacht haben. Das fehlte Respighi, der immer im Schatten der älteren italienischen Meister stand und niemanden fand, der ihn promotet hätte. Es macht sich nicht jeder den Aufwand, sich um abseitige Werke zu kümmern, da gehen viele den einfacheren Weg.

Bernstein: Serenade

Itzhak Perlman, Boston Symphonie Orchestra, Seiji Ozawa (Ltg)
EMI Classics 1995

Das klingt ganz nach Perlman, was man an seinen Glissandi erkennt, seinem typischen Schmelz! Der Bernstein ist fantastisch, und ich will das Werk gern promoten, aber es will keiner machen. Den Bezug auf die Philosophen muss man gar nicht kennen, um die Musik gut zu finden.

Joachim: Violinkonzert Nr. 2 d-Moll

Christian Tetzlaff, Danish National SO, Thomas Dausgaard (Ltg)
Erato 2008

Das Stück kenne ich nicht. Aber der Geiger gefällt mir sehr gut, sehr farbenreich, klanglich sehr wandelbar. Allerdings finde ich nicht, dass der Affekt über allem steht.

Dvořák: Violinkonzert a-Moll op. 53

Julia Fischer, Tonhalle- Orchester Zürich, David Zinman (Ltg)
Decca 2013

Das bin ja schon wieder ich! Dvořáks Violinkonzert war noch vor zwanzig Jahren relativ unbekannt; da wurde mir der Vogel gezeigt, wenn ich das vorgeschlagen habe, weil man ja immer nur das andere berühmte Solowerk hören wollte. Inzwischen wird es gern genommen, aber ganz ehrlich: Das Cellokonzert ist natürlich unerreicht.

Dvořák: Violinkonzert a-Moll op. 53

Isabelle Faust, The Prague Philharmonia, Jiří Běhlohlávek (Ltg)
harmonia mundi 2004

Oh, der direkte Vergleich! Isabelle Faust? Hätte ich nicht erkennen können. Aufnahmen höre ich heutzutage fast gar keine mehr. Ich bin schon froh, wenn ich mal in Konzerte gehen kann. Als Jugendliche hätte ich Ihnen hier alles erkennen können, aber das ist lange vorbei, spätestens seit die Kinder da sind.

J. S. Bach: Violinkonzert d-Moll BWV 1052R

Frank Peter Zimmermann, Berliner Barock Solisten
Hänssler 2017

Das gilt ja eigentlich als Klavierkonzert, auch wenn es Bach selbst bearbeitet hat. Frank Peter Zimmermann erkenne ich genauso am Vibrato, das relativ langsam ist und „mehr Fleisch“ hat. Frank Peter spielt immer sehr schön, sehr klar, ohne Allüren. Das Orchester gefällt mir auch sehr gut.

Glasunow: Violinkonzert a-Moll op. 52

Julia Fischer, Russian National Orchestra, Yakov Kreizberg (Ltg)
Pentatone 2016

Ich liebe schönen Kitsch, im Unterschied zu geschmacklosem, den Sie vorhin vorgespielt haben. Glasunow macht uns Geigern wahnsinnig großen Spaß. Er war aber auch ein großartiger Orchestrator, der genau wusste, wo wann welche Kombination eine besondere Wirkung erzielt. Leider sind meine Verbindungen nicht nur zu diesem Orchester völlig abgerissen. Das tut verdammt weh, denn ich war früher eigentlich jedes Jahr in Russland und hatte dort viele Freunde, die ich so schnell wohl nicht werde wiedersehen können. Aber mir ist schon klar, ich bin nur eine Geigerin, deren irrelevantes Mimimi nicht mit dem unfassbaren Leid zu vergleichen ist, was dort durchlitten wird.

Tschaikowsky: Violinkonzert D-Dur

David Oistrach, Staatskapelle Dresden, Franz Konwitschny (Ltg)
Profil Medien 1954

Ist das eine alte Aufnahme? Ah, das erklärt, warum ich mit dem Orchester nicht zufrieden bin. Das muss Oistrach sein! Als Kind habe ich mir von ihm alle greifbaren Aufnahmen besorgt, Fingersätze und Bogenstriche kopiert. Sehr viele spiele ich davon bis heute. Oistrach hat den schönsten breiten Geigenton, der einen vollkommen umarmt. Zum Schluss haben Sie meinen Lieblingsgeiger getroffen, danke!

Album-Tipp:

Album Cover für Schostakowitsch & Prokofjew: Violin-Duos

Schostakowitsch & Prokofjew: Violin-Duos

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