(UA Wien 1877)
Die Dritte heißt Wagnersymphonie und war ursprünglich mit Zitaten geschmückt. Für Wagner war der anhängliche Bruckner ein nützlicher Idiot; immerhin konnte er mit dessen Namen dem Kollegen Brahms eins auswischen, indem er Bruckner als das dritte große „B“ nach Bach und Beethoven bezeichnete. Ein Blick in die Partitur hätte Wagner gezeigt, dass die von ihm totgesagte Gattung der Symphonie gerade wieder zu leben anfing …
Während der langen Bauzeit der Dritten wurde es Bruckner wichtig, seine Partituren rhythmisch geregelt zu wissen. Er baute nicht mehr mit gefundenen Feldsteinen, sondern mit regelmäßigen Ziegeln, die Perioden werden gerade: 2, 4, 8, 16 Takte. Der Rhythmus wird zum statischen Element der Kompositionstechnik. Das Hauptthema (Trompete) muss sich zwar viel gefallen lassen: Umkehrung, Engführung, Verschiebung im Takt, Beschleunigung und Verbreiterung, aber sein Rhythmus bleibt unangetastet. Dieses Bauprinzip gilt fortan. In dem Maße, wie die Seitenthemen an Wärme und Klangreichtum gewinnen, werden die dritten Themen kahl und kalt. Neu sind auch Momente der Dekonstruktion, der Zerstörung von Abläufen: Besonders ergreifend wirkt das Fragment des Seitenthemas aus dem ersten Satz kurz vor Ende des Finales – wer das erkennt, hat gut zugehört!
Erster Satz: Wie hinter einem durchsichtigen Schleier aus fünf verschieden schnellen d-Moll-Bewegungen erscheint in der Trompete das Hauptthema. Es enthält den ganzen Weg der Symphonie: die Ruhe (das absteigende rhythmische Signal), die Entwicklung (die drängende Triole mit der Moll-Terz), das Ziel (die aufsteigende, D-Dur verheißende Kadenz). Doch der Weg ist weit! Bei Annäherung verschwindet die Vision, ein Gegen-Hauptthema stellt sich dem Wanderer in den Weg, wirft ihn zu Boden. Kaum wagt er zu atmen – allein drei Generalpausen!
Viele Generalpausen unterbrechen diesen Satz, doch die drängende Kraft der Triole ist unbeugsam. Sie wirkt im klangvollen Seitenthema, Bruckner hat „seinen“ Rhythmus gefunden: Triole-Duole (Bewegung-Ruhe) oder Duole-Triole … dieser Rhythmus gehört fortan dazu.
Der zweite Satz hat drei widersprüchliche Bezeichnungen: bewegt, feierlich, quasi Adagio. Auch die Form ist widersprüchlich: Der äußere Rahmen ist liedförmig (ABA), aber der innere B-Teil ist sonatenförmig. Dass der Satz innerhalb einer d-Moll-Symphonie in Es-Dur steht, zeigt Bruckners Unabhängigkeit. Die Instrumentation ist farbig und plastisch.
Scherzo und Finale werden immer zuerst geprobt, denn deren Streicherpassagen haben es in sich!
Das Finale beginnt wie ein kreisender Vogelschwarm. Das zupackende Hauptthema ist rhythmisch aus dem ersten Satz und harmonisch aus dem Scherzo gewonnen. Das zweite Thema ist ein Simultanthema: Im Vordergrund dreht sich ein Kirmestanz, im Hintergrund zieht eine Prozession. Das wilde dritte Thema assoziiert Orgelwirkung mit seinen hinterherhallenden Bassgängen.
Die Symphonie endet in triumphalem D-Dur – wie es das Hauptthema versprochen hatte. Katastrophal endete die Uraufführung: Die Philharmoniker zeigten ihren Missmut, das Publikum verließ lachend den Saal. Bruckner stand weinend zwischen seinen Getreuen, da trat ein Verleger wie ein tröstender Engel mit der Botschaft an ihn heran, die Dritte drucken zu wollen …
(Mathias Husmann)
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