Symphonie für eine Tenor- und eine Alt- (oder Bariton-)Stimme und Orchester (UA München 1911)
Das letzte Lied des Zyklus Der Abschied trägt die Tempo- und Charakterbezeichnung Schwer. Das Jahr 1907 war schwer für Mahler: Es war der Abschied von seiner älteren Tochter (Maria Anna starb mit vier Jahren an Diphtherie), es war der Abschied von Wien (aufgrund einer Pressekampagne mit antisemitischen Untertönen trat er von der Direktion der Staatsoper zurück), und es war der Abschied vom Glauben an die eigene unerschütterliche Kraft (es wurde eine gefährliche Herzkrankheit festgestellt) – ein Jahr des Abschieds. In dieser Stimmung stürzte sich Mahler in die Komposition der alten chinesischen Gedichte. Er zögerte, den Zyklus als Symphonie zu bezeichnen (obwohl die formale Erwartung an diese Gattung – nicht zuletzt durch Mahlers bisherige Werke – längst aufgeweicht war), weil es seine Neunte gewesen wäre, und es waltete der Aberglauben, dass nach dieser der Tod käme.
Die fertige Partitur gab Mahler seinem vertrauten Kollegen Bruno Walter zu lesen. Dieser vermerkte erschüttert: „Ist es wirklich derselbe Mensch, der in Harmonie mit dem Unendlichen den Bau der Achten errichtet hatte, den wir nun im Trinklied vom Jammer der Erde wiederfinden? Der einsam im Herbst zur trauten Ruhestätte schleicht, nach Erquickung lechzend? Der mit freundlichem Altersblick auf die Jugend, mit sanfter Rührung auf die Schönheit schaut? Der in der Trunkenheit Vergessen des sinnlosen irdischen Daseins sucht und schließlich in Schwermut Abschied nimmt? Es ist kaum derselbe Mensch und Komponist. Die Erde ist im Entschwinden, eine andere Luft weht herein, ein anderes Licht leuchtet darüber …“
Als Walter die Partitur Mahler zurückbrachte, vor Ergriffenheit kaum fähig, darüber zu sprechen, schlug dieser das letzte Lied Der Abschied auf und fragte ihn: „Was glauben Sie? Ist das überhaupt zum Aushalten? Werden sich die Menschen nicht danach umbringen?“ Dann wies er auf die rhythmischen Schwierigkeiten hin und fragte scherzend: „Haben Sie eine Ahnung, wie man das dirigieren soll? Ich nicht!“
Mahler hätte es – mit seiner despotischen Art, die Musiker zu zwingen, „über sich hinauszuwachsen“ – nicht gekonnt. Aber Bruno Walter, Dirigent der Uraufführung, konnte es – mit seiner vertrauensvollen Art, die Musiker zu motivieren, sich persönlich einzubringen. Nicht zuletzt deshalb wurde und ist er bis heute der authentische Mahler-Interpret.
Bei Aufführungen dieses Werkes kann man beobachten: Wenn der Dirigent tobt, sitzt das Orchester da wie eine verstockte Schulklasse; wenn der Dirigent nur ruhig den Zeitrahmen vorgibt, gerät das Orchester in Bewegung: Alle fühlen sich zur seelischen Mitarbeit aufgefordert. Das bekommt der Musik gut, in welcher auch Mahler über sich hinauswuchs.
Anton von Webern, Komponist des kurzen Augenblicks, sagte über das Werk des langen Abschiedsblicks: „Es ist unglaublich schön. Es ist nicht zu sagen.“