Verzagtheit und Selbstzweifel – Pjotr Iljitsch Tschaikowsky war 1888 an einem persönlichen Tiefpunkt angekommen. „Schreiben für wen? Weiterschreiben? Lohnt kaum“, vertraute er sich seinem Tagebuch an. Auch seiner Mäzenin Nadeshda von Meck schrieb er, dass ihn oft Zweifel überkommen würden und er sich die Frage stelle: Wäre es nicht an der Zeit, aufzuhören? Und doch: Ein Umzug auf sein Landgut Frolowskoje in der Nähe der russischen Stadt Klin, gab ihm wieder die Kraft zum Komponieren. Eine neue Sinfonie sollte es werden – immerhin war es schon elf Jahre her, dass er seine letzte komponiert hatte. So entstand innerhalb weniger Wochen seine fünfte Sinfonie, die Schicksals-Sinfonie.
„Vollständiges Sich-Beugen vor dem Schicksal“
Vielleicht waren diese tiefe Verzweiflung und Ängste der Grund dafür, dass eine eher dunkle, zum Teil fast schon mystische Sinfonie in Moll entstanden ist. Passend dazu auch der Name Schicksals-Sinfonie. Schon der erste Satz wird von der Klarinette mit dem Schicksalsmotiv eingeleitet, das der Komponist selbst als „vollständiges Sich-Beugen vor dem Schicksal oder was dasselbe ist, vor dem unergründlichen Walten der Vorsehung“ bezeichnete. Dieses leitet in ein eindringliches Hauptthema, das von den Streichern übernommen wird. Erst das Seitenthema in D-Dur hebt sich deutlich vom marschartigen Leitmotiv ab. Dennoch taucht dieses immer wieder in den einzelnen Orchesterstimmen auf und zieht sich wie ein roter Faden durch die folgenden Sätze, bis es im Finale schließlich die Überhand gewinnt.
Am 17. November 1888 leitete Tschaikowsky selbst die Uraufführung seiner Schicksals-Sinfonie in Sankt Petersburg. An seine Patronin von Meck schrieb er: „Nach jeder Aufführung komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass meine letzte Symphonie ein misslungenes Werk ist. Sollte ich mich schon ausgeschrieben haben?“ Grund dafür war Tschaikowskys Meinung nach das Finale, an dessen Qualität er zweifelte. Dabei überzeugt dieses vor allem durch eine effektvolle Spannung, die vom ersten Satz aufgegriffen wird und sich durch das gesamte Finale zieht. Das Schicksalsmotiv wird auf verschiedenste Arten aufgegriffen, zunächst noch ruhig und in E-Dur von den Streichern vorgestellt und später in der Durchführung auf dramatischster Weise umgesetzt. Schließlich endet der Satz mit dem Leitmotiv kraftvoll triumphierend und energiegeladen.
Erfolg trotz aller Zweifel: Die Schicksals-Sinfonie
Dabei hätte allein der Erfolg für sich und gegen alle Zweifel des Komponisten sprechen können. Der Kritiker Josef Sittard bezeichnete das Werk sogar als eine der „bedeutendsten musikalischen Erscheinungen unserer Zeit“. Doch „als selbstkritischer Künstler spürte [Tschaikowsky] genau, dass die bekenntnishafte Darstellung negativer Befindlichkeit leichter überzeugend zu gestalten ist als der utopische Entwurf einer positiven Gegenwelt“, schreibt Mathias Husmann in seinem Buch „Präludien fürs Publikum“. Bis heute gehört die Schicksals-Sinfonie neben Tschaikowskys vierter und sechster Sinfonie, zu einer seiner beliebtesten und meistgespielten Sinfonien.
Die wichtigsten Fakten zu Peter Tschaikowskys Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64, Schicksals-Sinfonie:
Orchesterbesetzung: 3 Querflöten inkl. Piccoloflöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten in A, 2 Fagotte, 4 Hörner in F, 2 Trompeten in A, 3 Posaunen, 1 Basstuba, Pauken in G, D und E, Streicher
Sätze:
1. Satz: Andante – Scherzo. Allegro con anima
2. Satz: Andante cantabile
3. Satz: Walzer. Allegro moderato
4. Satz: Finale. Andante maestoso
Aufführungsdauer: Ca. 55 Minuten
Uraufführung: Die Uraufführung fand am 17. November 1888 in Sankt Petersburg statt
Referenzeinspielung
Tschaikowsky: Sinfonie Nr. 5, Schicksals-Sinfonie
Yevgeny Mravinsky, Leningrad Philharmonic Orchestra
Während der 50-jährigen Zusammenarbeit des Dirigenten Yevgeny Mravinsky mit dem Leningrad Philharmonic Orchestra (heute Sankt Petersburger Philharmoniker) hat der Maestro die Musiker nicht nur zu einem der besten Klangkörper weltweit ausgebildet, in dieser Zeit sind auch legendäre Aufnahmen hervorgegangen. Vor allem bei den Tschaikowsky-Sinfonien überzeugt Mravinsky mit einem emotionalen und intensiven Dirigat. Das kommt besonders im Presto des Finales der Schicksals-Sinfonie zum Vorschein, das trotz beeindruckend rasantem Tempo nicht nur technisch perfekt, sondern auch weich und mit Gefühl vorgetragen wird.