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Oper im Porträt

Verdi: Falstaff

Giuseppe Verdis letztes vollendetes Musiktheaterwerk „Falstaff“ ist ein Höhepunkt der Opera buffa.

vonJan-Hendrik Maier,

Am Ende sollte Giuseppe Verdi doch noch eine komische Oper gelingen: „Falstaff“, uraufgeführt 1893 an der Mailänder Scala. Mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor war mit „Un giorno di regno“ sein bis dahin einziger Ausflug ins Komödiantische beim Publikum krachend durchgefallen.

Nach der Premiere seiner 27. Oper, dem Alterserfolg „Otello“, hatte sich Verdi 1887 bereits zur Ruhe gesetzt. Doch Librettist Arrigo Boito machte sich Verdis lebenslange Vorliebe für Shakespeare-Stoffe zunutze und arbeitete, zunächst ohne dessen Wissen, an einem Entwurf zu „Falstaff“. Die Handlung basiert auf „Die lustigen Weiber von Windsor“, Elemente aus „Heinrich IV.“ ergänzen Falstaffs Charakter. Im Juli 1889 schrieb Boito an Verdi: „Es gibt nur einen Weg, noch besser Schluss zu machen als mit ‚Otello‘, nämlich siegreich mit ‚Falstaff‘ zu enden. Nachdem wir Schreie und Klagen im menschlichen Herzen geweckt haben, schließen wir mit berstendem Gelächter. Das wird alle umwerfen!“ Verdis Antwort nach anfänglichem Zögern: „Amen, so möge es geschehen!“

Falstaff – mehr Lebemann als Ritter

Obgleich die Titelfigur, mit vollem Namen Sir John Falstaff gerufen, dem Ritterstand angehört, begegnet den Zuschauern weder ein moralischer Vorzeigemensch noch ein buchstabengetreuer Verfechter von Recht und Ordnung. Falstaff ist ein Lebemann des späten Mittelalters, der an erster Stelle um seine charakteristische Körperfülle bemüht ist und Wein, Weib und Gesang mehr zuspricht als ihm guttut.

Im Garten der Fords zum Finale des 1. Akts, Zeichnung von G. Amato (1893)
Im Garten der Fords zum Finale des 1. Akts, Zeichnung von G. Amato (1893)

Doppeltes Komplott

Zu Beginn der Handlung hat Falstaff einmal mehr seinen letzten – wie so oft unter eher fragwürdigen Umständen erlangten –  Groschen versoffen und verfressen. Die Verführung der reichen Ehefrauen Alice Ford und Meg Page soll es richten, Falstaff schickt ihnen zwei identische Liebesbriefe. Die Chuzpe fliegt jedoch auf und beide Frauen beschließen, Falstaff bei einem Treffen zum Gespött zu machen. Zugleich schwärzt Dr. Cajus, ein früheres Opfer von Falstaffs Betrügereien, den Protagonisten bei Alices Ehemann an. Letztgenannter stellt als Signor Fontana verkleidet eine Falle: Der Ritter möge doch als Mann von Welt gegen ein Honorar seine unerreichbare Geliebte Alice verführen und diese so für ihn selbst willfähriger machen.

Das nächtliche Rendezvous zwischen Alice und Falstaff läuft anfangs nach Plan, aber als Meg das Zimmer betreten will, kommt unerwartet Mr. Ford nach Hause. Hektisch versteckt sich der dicke Ritter im Wäschekorb und landet – nach einigem Hin und Her der Szenerie um das junge Liebespaar Nannetta und Fenton – kopfüber im Abwasserkanal.

Adelina Stehle verkörperte die Nannetta bei der Uraufführung
Adelina Stehle verkörperte die Nannetta bei der Uraufführung

Burleskes Finale zur Geisterstunde

Falstaff beklagt sein Leid angesichts der schlechten Welt, als ihn die Botin Mrs. Quickly zu einem erneuten Stelldichein mit Alice einlädt. Dieses Mal solle er um Mitternacht als unheimliche Sagenfigur verkleidet an Hernes Eiche im Park Windsor erscheinen. Doch auch Mr. Ford will die Charade nutzen, um seine Tochter Nannetta mit dem alten Dr. Cajus zu verheiraten.

Falstaff erscheint, wie ihm geheißen, zur Geisterstunde im Park und erlebt das sprichwörtliche blaue Wunder, als ihn die Bürger und „lustigen Weiber“ von Windsor beschimpfen und piesacken, bis er Reue über sein untugendhaftes Verhalten in der Vergangenheit äußert. Das Verkleidungsspiel löst sich auf, alle Liebenden dürfen heiraten, und der Anti-Held setzt zu seiner berühmten Gardinenpredigt an. Und die Moral? „Alles in der Welt ist Posse, der Mensch ein geborener Tor; und glauben wir weise zu werden, sind dümmer wir als zuvor. (…) Doch besser fürwahr lacht keiner, als wer am Ende lacht.“

Kostümentwurf von Adolf Hohenstein für die Premiere des „Falstaff“ an der Mailänder Scala 1893
Kostümentwurf von Adolf Hohenstein für die Premiere des „Falstaff“ an der Mailänder Scala 1893

Auch ein früher Marketingerfolg für Verleger Ricordi

„Falstaff“ war bereits bei der Uraufführung ein voller Erfolg und zählt bis heute neben Gioachino Rossinis „Barbier von Sevilla“ zu den meistgespielten Opere buffe des 19. Jahrhunderts. Verdis Verleger Giulio Ricordi übernahm die Produktion der Premiere und schickte sogar den Maler Adolf Hohenstein auf Reise nach England, damit dieser in seinen Kostümskizzen auch ja Architektur und Mode zur Zeit Heinrichs IV. berücksichtigen konnte. Bis zum Tod des Komponisten verkaufte Ricordi zudem fast 40.000 Ausgaben des Librettos.

Adolf Hohenstein entwarf auch das Plakat für die französische Erstaufführung von Verdis „Falstaff“
Adolf Hohenstein entwarf auch das Plakat für die französische Erstaufführung von Verdis „Falstaff“

Verdis Schwanengesang mutierte zum Stoff, der Regisseure allerorts zu neuen Lesarten antreibt: Falstaff als naiver Großkotz, gegen den Feministinnen wettern (Calixto Bieito), die Oper als Verwirrspiel, die zugleich das Alter und die Zeitlosigkeit der Erotik huldigt (Christof Loy) oder aber „Falstaff“ als Projektionsfläche für die Abgründe einer selbstgerechten und ausgrenzenden bürgerlichen Gesellschaft (Dietrich Hilsdorf).

Das wichtigste zu Verdis „Falstaff“

Commedia lirica in drei Akten
Uraufführung: 9. Februar 1893, Teatro alla Scala, Mailand

Spieldauer: ca. 2,5 Stunden

Personen

  • Sir John Falstaff (Bariton)
  • Ford, Alices Gatte (Bariton)
  • Fenton, verliebt in Nannetta (Tenor)
  • Dr. Cajus (Tenor)
  • Bardolfo, in Falstaffs Diensten (Tenor)
  • Pistola, ebenso (Bass)
  • Mrs. Alice Ford (Sopran)
  • Nannetta, ihre Tochter (Sopran)
  • Mrs. Quickly, Freundin von Alice Ford (Mezzosopran)
  • Mrs. Meg Page, ebenso (Mezzosopran)
  • Der Wirt, Falstaffs Page Robin, ein Page bei Ford (stumme Rollen)
  • Bürgerinnen und Bürger von Windsor (Chor)

Termine

Artikel

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Präludium

Buchcover: Präludien für das Publikum von Mathias Husmann(UA Mailand 1893) Schon 1880, sieben Jahre vor der Otello-Premiere, hatte Giuseppina Verdi ihrem Mann geschrieben: „In Deiner Kunst kannst Du – abgesehen von einer opera comique – nicht höher steigen.“ Nach Otello kümmerte sich Verdi erst einmal um das Krankenhaus für seine Bauern und die Casa di riposo – das Altersheim für Musiker, das er als sein „schönstes Werk“ ansah. Aber Arrigo Boito, Librettist des Otello, ließ nicht locker. 1890 köderte er ihn mit dem Entwurf zu Falstaff. Verdi reagierte unsicher: „Haben Sie an die enorme Zahl meiner Jahre gedacht?“ Boito stärkte ihn: „Ich glaube nicht, dass das Schreiben einer komischen Oper Sie anstrengen würde. Die Tragödie macht den leiden, der sie schreibt. Aber Humor und Lachen der Komödie erfrischen Körper und Seele – es gibt nur eine Möglichkeit, noch besser zu enden als mit Otello, und das ist mit Falstaff.“ Verdi antwortete: „Lieber Boito, Amen, es sei! Machen wir den Falstaff!“ Boito befasste sich mit dem Libretto. Kurz darauf schrieb ihm Verdi: „Ich hoffe, Sie arbeiten? Das merkwürdige ist, dass auch ich arbeite! … ich unterhalte mich damit, eine Fuge zu schreiben, eine komische, die gut in den Falstaff passen könnte …“ Die Schlussfuge stand also am Anfang – auf sie läuft die ganze Oper hinaus. Der freie, fantasierende dramatische Otello-Stil wird nun auf den komischen Shakespeare-Stoff angewandt: „Wort hascht nach Wort, die Musik sprudelt und poltert, aus flatternden Floskeln wird ein vibrierendes Ganzes gewoben“ (Hans Swarowsky). In Otto Nicolais Oper Die lustigen Weiber von Windsor (1849) ist der heruntergekommene Ritter John Falstaff eine lächerliche Figur, in Boitos/Verdis Falstaff ist er ein Souverän – er behält meistens recht – und immer das letzte Wort. Besonders komisch: sein Vortrag über die Fragwürdigkeit des Begriffs „Ehre“, sein Lamento über die Schlechtigkeit der Welt, nachdem man ihn in einem Korb mit schmutziger Wäsche in den Graben gekippt hat, sein musikalischer Vergleich der Wirkung des Weins mit einem anschwellenden Triller … Bei Falstaff sitzt das Orchester auf der vorderen Stuhlkante – die Musiker sollten den Alten in guter Erinnerung behalten! Keine seiner Partituren ist so mit Fingersätzen gespickt. Selbst bei der armseligen Bratschenpassage, als in Falstaffs Börse (vergeblich) nach Geld gesucht wird, steht über jeder Note eine Hilfestellung. Fenton und Nannetta huschen durch die Szenen wie Eichhörnchen – Boitos entzückende Verse dürften den greisen Verdi in die Tage seiner Jugend zurückversetzt haben; die Musik für das junge Liebespaar ist von bezaubernder Anmut … Falstaff ist eine Ensembleoper – schon das Studium der Partien geschieht am besten zusammen. Die Arbeit an dieser Oper macht Spaß, das Vergnügen an der Sprache und der Musik überträgt sich von den Ausführenden auf das Publikum. Angesichts des ernsten Weltgeschehens tun wir uns schwer, die Worte der Schlussfuge (Alles ist Spaß auf Erden/Wir sind alle nur Narren, geborene Narren) zu glauben, aber für die kostbare, kurze Zeit der Aufführung dürfen wir sie gelten lassen. Nach über 25 tragischen Opern Verdis lacht seine letzte – und wer zuletzt lacht … (Mathias Husmann)
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